Thomas Beilner berichtet aus dem Hörsaal

Wenn meine über neunzig Jahre alte Mutter nach unserem Kaffee den Geldschein zur Begleichung der Rechnung aus ihrer Handyhülle herausfischt, ist auch bei ihr die Zeit der schlanken Geldbörse angebrochen. In Deutschland sind zwar die physischen Münzen und Geldscheine unverändert beliebt, aber die Zeit der bargeldlosen Gesellschaft läuft bereits und die meisten Zentralbanken haben das erkannt.

Digitales Geld statt Bargeld

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat im Oktober 2023 eine zweijährige Vorbereitungsphase zur Einführung eines Digitalen Euro gestartet, der im Jahr 2027 oder später zusätzlich zum Bargeld und dem Giralgeld der Geschäftsbanken eingeführt werden soll. Wie alle Zentralbanken will auch sie mit der Lösung durch das digitale Zentralbankgeld eine Antwort auf die schwindende Nutzung von Bargeld und ihr Geldmonopol gegenüber privaten Anbietern verteidigen. Aber brauchen wir in Europa einen Digitalen Euro und was ist dessen Mehrwert? Stehen doch bei einem Online-Einkauf bereits heute etliche Bezahlmöglichkeiten zur Verfügung. Ist es die Furcht vor überwiegend von US-Konzernen dominierten Zahlungssystemen? Diese Fragen haben wir an der Universität Erfurt in drei Gruppen mit drei verschiedenen Themenschwerpunkten diskutiert, um Antworten auszuloten.

Das „optimale“ Design eines digitalen Euros

Zu den Produktmerkmalen: Die EZB will für den Privatsektor aller Euro-Mitgliedstaaten den Digitalen Euro ausgeben. Ob Personen außerhalb dieser Staaten ihn nutzen können, ist offen. Das „optimale“ Design wäre gegeben, wenn es bargeldgleich ist. Die Aspekte wie Anonymität, Sicherheit, kostenfreie Nutzung mit komfortabler Anwendung und Beachtung der Privatsphäre sind zu nennen. Die EZB strebt zwei Lösungen an: Bei der Offline-Lösung werden Guthaben direkt auf ein mobiles Gerät geladen und wie zur Bezahlung mit Bargeld benutzt. Bei der Online-Lösung werden Digitale Euro-Konten kostenfrei für den Privatsektor bei den Geschäftsbanken eröffnet und gehalten – neben den klassischen mit Gebühren belasteten Bankkonten. Damit es zu keiner Verlagerung vom Bankkonto zum Digitalen Euro-Konto kommt, ist eine Obergrenze für Guthaben in Höhe von 3.000 Euro im Gespräch. Der überschießende Betrag wird automatisch auf das klassische Bankkonto übertragen. Ist das Guthaben nicht ausreichend, wird entsprechend von dem klassischen Bankkonto aufgefüllt. Diese Obergrenze soll nicht für Unternehmen gelten, womit diese ein- und ausgehende Digitale Euro-Zahlungen direkt vom Bankkonto zu erfüllen haben. Nach Plänen der EZB kommt der Geschäftsbankensektor für die Kosten der Kontoeröffnung und -führung auf. Der Handel soll die Kosten für die technische Abwicklung tragen, die von privaten Zahlungsdienstleistern erbracht wird. Ungeklärte Fragen tauchen auf: da für die Online-Lösung ein zusätzliches Konto eröffnet werden muss, ist es für den Endverbraucher nicht anonym. Werden persönliche Daten gespeichert? Parallele Strukturen zu bestehenden Systemen sind aufzubauen, um die Zahlungsströme zwischen Zahlendem und Empfänger abbilden zu können. Als öffentliches Gut soll der Digitale Euro für den Privatsektor kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Ist eine Rentabilitätsrechnung für die beteiligten Parteien erstellt worden und welche Anreize gibt es für die Einführung? Denn die Umschichtung von Geldern bei den Geschäftsbanken hat auch Auswirkungen auf deren Eigenkapitalrentabilität.

Die geldpolitischen Implikationen eines digitalen Euros

Über den Transmissionsmechanismus, mit dem Zins-, Kredit-, Vermögens- und Wechselkurskanal, entfalten sich geldpolitische Maßnahmen der Zentralbank in der Realwirtschaft. Nennenswerte Effekte sind durch Einführung eines Digitalen Euros nach unserer Bewertung nicht feststellbar. Gleichwohl würde die EZB mit der Einführung von zins- und kostenlosen Digitalen Euro-Konten in den direkten Wettbewerb zu den Geschäftsbanken treten. Wären diese noch verzinst, könnte sie direkten Einfluss auf die Anlageentscheidungen des Endverbrauchers nehmen. Als geldpolitisches Argument für die Notwendigkeit des Digitalen Euro führt die EZB die Sicherung der Finanzstabilität und monetären Souveränität an. Bankguthaben der Bürger sind Forderungen gegen Geschäftsbanken. Akzeptiert wird dies nur durch den Vertrauensanker der EZB, da Bürger sich ihre Guthaben in physischem Zentralbankgeld auszahlen lassen können. Bei niedrigen Obergrenzen der Digitalen Euro Konten greift dieses Argument kaum. Auch für die Kontrolle der Notenbank über die Geschäftsbanken und deren Kreditschöpfung ist das Notenbankguthaben des Privatsektors in Form des Digitalen Euro irrelevant. Das vorrangige Ziel der Geldpolitik der EZB ist es, Preisstabilität zu gewähren. Ob hierzu ein Digitaler Euro nötig ist, wird bezweifelt.

Die Chancen und Risiken eines digitalen Euros

Zusammenfassend werden durch die Einführung des Digitalen Euro mehr Risiken als Chancen gesehen. Es beginnt bei den Kosten für den Aufbau der separaten Systemarchitektur, geht weiter zu Akzeptanzproblem und Datenschutzbedenken im Privatsektor, dem Problem, dass nach aktuellen Plänen Unternehmen und der Handel keine Digitalen Euro-Guthaben halten dürfen, diesen aber abnehmen müssen, bis zur Verteuerung der Refinanzierung der Geschäftsbanken. Weiter gilt es zu bedenken, dass bereits heute im Zahlungsverkehr digitale Optionen bestehen, die genutzt werden. Dennoch glauben wir, dass der Digitale Euro kommen wird. Zu groß ist die Furcht der EZB vor der Abhängigkeit von US-amerikanischen Dienstleistern und den technischen Fortschritt in der Digitalisierung zu verpassen. Als Abwehr von privaten Digitalwährungen ist der Digitale Euro nicht von Nutzen.

Thomas Beilner ist Honorarprofessor für Finanzmarkttheorie an der Universität Erfurt. Sie erreichen den Autor unter thomas.beilner@uni-erfurt.de