Henryk Goldberg kann nicht optimistisch sein.

Zwei Jahre. Die Zahl der Toten kennt niemand wirklich. Zivilisten, Frauen, Kinder, Soldaten. Mehrere Hunderttausend, auf beiden Seiten. Wie viele noch? Wie viele Menschen werden noch sterben, wie viele Jahre noch vergehen? Irgendwann wird auch dieser Krieg enden. Wie und wann auch immer dieses Ende sein wird, es wird das Ergebnis von Verhandlungen sein. Und diese Verhandlungen könnten, theoretisch, ebenso gut jetzt stattfinden, das würde, praktisch, Tausende, Zehntausende, womöglich Hunderttausende Menschen auf beiden Seiten bewahren vor dem frühen Sterben.

Doch diese irgendwann stattfindenden Verhandlungen werden jetzt nicht geführt, weil vollkommen unklar ist, wer mit wem und worüber verhandeln könnte. Mit wie viel Ukraine gäbe Russland sich zufrieden? Und wie viel Land gäben die Ukrainer für Frieden und Sicherheit? Vollkommen klar ist allerdings, dass die Verteidigung des Landes gegen diesen Aggressor ein Kriegsziel ist, dem ungeteilte ethische und praktische Solidarität gebührt, während die „Befreiung“, die „Entmilitarisierung“, die „Entnazifizierung“ der Ukraine ethisch und praktisch geächtet gehört, auch durch Panzer. Und Ja: Über fernes, fremdes, Sterben ist immer leichter reden als über das nahe, das eigene.

Die Ukraine wird diesen Krieg vielleicht gewinnen, insofern sie nicht zusammenbricht, mindestens wird es am Ende so heißen. Aber sie wird ihn nicht so gewinnen, wie sie es möchte, wie ich es wünschte, wie es sein sollte in einer gerechten Welt. Russland wird auf der Krim bleiben und im Osten des annektierten Landes wohl auch. Und irgendwann wird auch die Ukraine mit einer gesichtswahrenden Formel das so hinnehmen müssen. Niemand glaubt derzeit tatsächlich, dass die Ukraine die russische Armee aus dem Lande treiben könnte, mit welchen Waffen auch immer: Putin kann Teile seines großen Volkes verbluten lassen, so lange er es für richtig hält, er verfügt ja über genügend Menschenmaterial, zumal in den Weiten des Landes von diesem Krieg wenig zu merken ist.

Selenskyj hingegen regiert ein Land, das durchweg gezeichnet ist vom Krieg. Und er benötigt die jetzt schon infrage stehende anhaltende Unterstützung des Westens. Irgendwann wird er, oder sein Nachfolger, Verhandlungen führen, und in deren Ergebnis wird die Ukraine kleiner geworden sein. Verhandlungen, die im Grunde auch jetzt geführt werden könnten, dann gäbe es, auf beiden Seiten, weniger Tote und in der Ukraine weniger Ruinen. Aber wer will und darf der Ukraine jetzt sagen, sie solle den Status quo festschreiben, sich also dem Aggressor beugen?

Natürlich, dieser Krieg hat eine Vorgeschichte, aber die Arroganz des Westens legitimiert und entschuldet Putins Russland nicht, wer das tatsächlich glaubt, ist rationaler Argumentation nicht mehr zugänglich. Es erscheint vielen, mir auch, emotional und politisch widerwärtig, dass der Aggressor Putin, der persönlich hunderttausende Tote verantwortet, „gesichtswahrend“ aus der von ihm, und nur von ihm, verursachten menschlichen Katastrophe kommen soll, aber ein anderer Weg ist nicht zu sehen.

Bis dahin jubele ich nicht über deutsche Waffen, die gegen russische Soldaten in Stellung gehen: Ich finde sie nur richtig und notwendig. Ohne diese Unterstützung, ohne diese Waffen würde die russische Flagge über Kiew wehen.

Aber da, wo sie jetzt schon weht, wird sie wohl bleiben. Mindestens da.