Herr Bärsch erklärt, warum die Kluft zwischen Ost und West ausgerechnet an der Schwelle zum Oktober besonders tief ist und was die Deutschen wirklich entzweit.

Was wären wir ohne unsere Jahrestage?! In diesen Tagen feiert das deutsche Volk gleich zwei davon: den 27. Jahrestag der deutschen Einheit und den 26. Jahrestag der obligatorischen Meinungsumfragen zum Jahrestag der deutschen Einheit. Wie schon in den 25 Jahren davor klärt uns auch diesmal eine dieser Umfragen darüber auf, dass die innere Einheit zwischen Ost und West noch nicht erreicht ist.

Scharen von Politikern und Forschern zerbrechen sich erfolglos die Köpfe darüber, was daran schuld sein könnte. Als ziemlich sicher gilt bislang nur, dass es das Münchner Oktoberfest nicht sein kann. Das wird seit der Wiedervereinigung deutschlandweit gefeiert – selbst in Bundesländern, deren Bevölkerung eine tiefe Abneigung gegenüber allem Bayerischen innewohnt. Den Siegeszug des Oktoberfests konnte selbst die Tatsache nicht bremsen, dass es eigentlich Septemberfest heißen müsste, weil es mehr Tage vom September in Anspruch nimmt als vom Oktober.

Umso überraschter sind wir vom Ergebnis einer Erhebung, die das Meinungsforschungsinstitut Yougov in dieser Woche präsentiert hat: 51 Prozent der Deutschen sprechen sich dagegen aus, das Wort Wiesn in den Duden aufzunehmen. Vier Prozent der Befragten gaben sogar an, die Bezeichnung Wiesn nicht zu kennen. Das ist ein unumstößliches Indiz dafür, dass die fehlende innere Einheit zwischen Ost und West nicht das größte Problem der Deutschen ist.

Das bestätigt auch eine schon vor Längerem verbreitete Erkenntnis des Mannheimer Instituts für Deutsche Sprache: „Die Ost-West-Teilung läuft den historischen Dialektgrenzen total zuwider.“ Das heißt im Klartext: Die Einheit schaffte es nicht, die bestehenden Dialektgrenzen zu sprengen. Schätzungen von Experten zufolge halten noch immer fast fünfzig Prozent der außerhalb Baden-Württembergs Geborenen Spätzle für einen Begriff aus der Vogelkunde. Dagegen wissen bei einschlägigen Tests zwei Drittel der Baden-Württemberger sofort, dass es sich hierbei um ein Nahrungsergänzungsmittel handelt.

Besonders schlimm sind die Resultate im direkten Sprachduell zwischen den Trägern einzelner Dialekte: So konnte nach einem Gespräch zwischen thüringischen und bayerischen Schülern kein Thüringer wiedergeben, was ihm gesagt wurde, während immerhin die Hälfte der Bayern glaubhaft machte, sich untereinander zu verstehen.

. . . warum die Kluft zwischen Ost und West ausgerechnet an der Schwelle zum Oktober besonders tief ist und was die Deutschen wirklich entzweit.