Martin Debes schwatzt über die Wahlen.

Das Charmante an Wahlergebnissen ist ja, dass sie so überaus vielfältig interpretierfähig sind. Verbunden mit den Nachwahlbefragungen eröffnet sich ein ganzes soziopolitologisches Deutungsuniversum. Darin lässt sich dann final klären, dass 5,217 Prozent der heterosexuellen Männer zwischen 21 und 30, die Opel Astra (Diesel) fahren, von der Linken über die FDP zur AfD gewechselt sind, aber zu 44,2 Prozent auch CDU wählen würden, wenn Fritze Merz Kanzler wäre.

Oder so ähnlich.

Auch Wertungen richten sich entsprechend der Wahlresultate neu aus, wobei sich anbietet, aus der früheren Knallerthese die noch knalligere Antithese zu basteln. So wird aus dem ungelenken Michael Kretschmer, der eben noch zum bratwurstgrillenden Jüngelchen aus Görlitz heruntergelächelt wurde, nun wahlweise der letzte Beschützer des sächsischen Königreiches oder der einzig wahre Anti-AfD-Avenger.

Hingegen lassen sich jetzt die Grünen, die ja eben noch als zarteste Wählerversuchung galten, seit es Gutparteien gibt, mit preisgünstiger Häme betropfen, weil sie doch tatsächlich in Sachsen einstellig blieben. Unsere Greta, liebe Annalena, lieber Robert, ist ja wohl nicht über den Atlantik gesegelt, damit ihr ein paar lächerliche Wahlkreise in Leipzig-Irgendwo gewinnt! So wird das nüscht mit dem politischen Klimawandel!

Oder die FDP. Als streng neutraler Berichterstatter, der man ist, kommt man ja gar nicht mehr hinterher mit dem Herunter-herauf-und-wieder-herunterschreiben. Aber wahrscheinlich verhält es sich mit den Liberalen wie mit diesen komischen Hosen, die man in den 1980er-Jahren bis über den Bauchnabel zog, obwohl das richtig blöd aussah: Sie kommen halt immer wieder.

Die Linke, unseren Glückwunsch dazu, hat ihre gesamtdeutsche Parteibildung nahezu abgeschlossen. Sie ist jetzt im Osten bald genauso schwach wie im Westen – bis auf Thüringen natürlich, wo der sozialdemokratische Gewerkschaftssekretär Ramelow in ihrem Namen regiert. Am 27. Oktober wird er wieder die 120-prozentige Planerfüllung ins Karl-Liebknecht-Haus melden.

Schließlich wird ja vom gemeinen Bürger gerade eher der jeweilige Regierungschef gewählt – und nicht diese angestrengt wirkende Vereinigung, der er angeblich angehören soll. Damit erfüllt sich übrigens der Geist des Grundgesetzes, in dem die Parteien bekanntlich bestenfalls randständig vorkommen.

Zur SPD lässt sich an dieser Stelle nur erwähnen, dass es sie noch gibt, was angesichts mancher Vorhersagen so nicht unbedingt zu erwarten war. Und damit zur AfD, die, das ist ja eine besonders gerne gepflegte Tradition dieser Kolumne, niemals unbescholten bleiben darf.

Falls man einigen Kommentaren oder Fernsehinterviewfragen glaubt, ist die Partei, schwuppdiwupp, endgültig hinein ins wahlweise bürgerliche und konservative Lager osmotiert. Oder können sich 27,6 Prozent der sächsischen und 23,5 Prozent der brandenburgischen Wähler irren?

Natürlich nicht. Dass in Brandenburg die Partei von einem Mann geführt wird, der mit Neonazis auf Reisen nach Athen ging? Nicht schön das, klar. Aber hat nicht damals der Joschka Fischer nicht auch Polizisten verkloppt? Am Ende stinkt sich auch ein noch so gäriger Haufen irgendwann aus, oder etwa nicht?

An dieser Stelle, sorry, ist Schluss mit aller Pseudoironie. Die AfD hatte unzählige Gelegenheiten, sich zu einer rechtskonservativen Partei zu entwickeln, auf ihren Parteitagen in Essen oder Köln – oder gelegentlich des Parteiausschlussverfahrens gegen Björn Höcke, der einst in Dresden mit Rechtsextremisten aufmarschierte und nicht einmal mehr richtig dementiert, dass er für die Blättchen eines vorbestraften Neonazis schrieb.

Doch die Partei nutzte keine dieser Gelegenheiten. Im Gegenteil. Während sich bei Grünen und PDS die Pragmatiker gegen die Fundamentalisten durchsetzten, hat sich die AfD in den gut sechs Jahren ihrer Existenz stetig weiter radikalisiert, insbesondere in den ostdeutschen Ländern. Vor allem dort ist sie nicht konservativ und nicht bürgerlich, sondern zunehmend rechtsextremistisch.

Viele Menschen, das bleibt richtig, wählen die AfD trotzalledem – aus Frust, aus Protest, wie man es auch nennen mag. Dies ist bitter, aber zusätzliche und endlich messbare Taten der Politik wert. Aber viele Menschen wählen die Partei genau deshalb – weil sie extremistisch ist. Und auch dies ist, ja: extremistisch.

Landtagswahl 2019: Der Kampf in Thüringen beginnt