Martin Debes über einen Politiker.

Es gibt da diesen hübschen Vers, den Politiker gerne aufsagen. Er soll von Erwin Teufel stammen, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg war, als das Land, lange ist es her, noch von der CDU regiert wurde. Doch erst Bernhard Vogel machte den Spruch populär, es gibt gefühlt kein Interview und keine Rede, in der er ihn nicht doziert.

„Erst das Land, dann die Partei, dann die Person“: So und nicht anders sollte Politik funktionieren.

Dass die Angesprochen oft genug genau die umgekehrte Reihenfolge beachten, zeigten in der vergangenen Woche 43 republikanische Mitglieder des US-Senats am Ende des Amtsenthebungsverfahrens gegen Donald John Trump. Nachdem sie mehrere Tage noch einmal durchleben durften, wie nahe ihnen am 6. Januar ein gewalttätiger, bewaffneter Mob kam, und nachdem sie noch einmal vorgeführt bekamen, dass es der Präsident persönlich war, der diesen Mob mit monatelangen Lügen aufgewiegelt hatte, stimmten sie mit „not guilty“, nicht schuldig.

Einer der 43 war Mitch McConnell. Als Mehrheitsführer im Senat, dem er seit 1985 angehört, hatte er erst vier Jahre die Initiativen Barack Obamas obstruiert, um danach vier Jahre seine Agenda mit Hilfe von Trump durchzusetzen – von Steuererleichterungen für Unternehmen und Wohlhabende über Schürfrechte in Alaska bis hin zu erzkonservativen Richtern im Verfassungsgericht und anderen Gerichtshöfen.

Die Lügen des Präsidenten, seine offensichtliche Korruptheit und Demokratiefeindlichkeit, dies alles lehnte er insgeheim und zuweilen sogar öffentlich ab. Aber er nahm es am Ende stets billigend in Kauf, für die Macht.

Nach der Präsidentschaftswahl im November, als Trump seine Niederlage in einen Erdrutsch-Sieg umlog, vermied es McConnell zunächst, sich vom Präsidenten zu distanzieren. Fast sechs Wochen erkannte er nicht Joe Biden als Gewinner an.

Er wusste, dass Trump verloren hatte. Aber er wollte ihn nicht verärgern, ihn, der immer noch bis zu 90 Prozent der republikanischen Basis hinter sich hat. Jeder, der sich von Trump abwendet, muss mit Angriffen in den parteiinternen Vorwahlen rechnen. Die nächste Kandidatur wäre mit großer Sicherheit futsch.

Zwar wurde McConnell selbst im November im Amt bestätigt. Aber er weiß: Seine Position in der Partei wäre nicht zu halten, falls er die politische Existenz seiner Kollegen im Senat oder im Repräsentantenhaus gefährdete.

Als dann das bis dahin Undenkbare geschah – ein vom Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika angestifteter Überfall auf das US-Parlament, das gerade dabei war, die Wahl seines Nachfolgers formal zu bestätigen – übte sich McConnell in Entsetzen. Seine Frau, eine Ministerin, trat sogar unter Protest zurück.

Doch als kurz darauf die Demokraten im Repräsentantenhaus das Verfahren gegen Trump einleiteten und es wenige Tage vor dem Ende von Trumps Amtszeit in den Senat einbringen wollten, verweigerte McConnell die Annahme. Seine Kammer, erklärte er, befinde sich noch in den Ferien.

Am Samstag nun stimmte McConnell, der nach der Nachwahl in Georgia nur noch Minderheitsführer ist, mit „nicht schuldig“. Danach stellte er sich ans Rednerpult und erklärte, dass Trump „ohne Zweifel“ die zentrale Verantwortung für all das trage, was am 6. Januar geschah. Allein, er konnte ihn nicht verurteilen, weil ein Amtsenthebungsverfahren dazu da sei, jemanden aus dem Amt zu entheben. Und Trump befinde sich ja nicht mehr im Amt.

Diese Erklärung, hinter der sich die meisten der 43 Senatoren verstecken, ist nicht nur deshalb spitzfindig, weil es ja McConnell war, der einen schnellen Prozess verhindert hatte – sondern auch deshalb, weil die Verfassung vorsieht, dass eine amtsenthobene Person auch nicht wieder für ein öffentliches Amt kandidieren kann. Zudem hatte der Senat zuvor mehrheitlich das Verfahren für verfassungskonform erklärt.

Doch Mitch McConnell, der Franz von Papen aus Kentucky, der in dieser Woche 79 wird, macht immer und immer weiter. Erst die Person, dann die Partei, dann das Land – und dies mit aller Macht. Die Demokratie, sie kommt für Menschen wie ihn sowieso zuletzt.