Martin Debes verspekuliert sich mal wieder.

Der erste Tabudammbeinbruchjahrestag ist absolviert. Alle Pressemitteilungen sind versendet, alle Tweets abgesetzt und, ächz, alle Interviews mit Thomas Kemmerich geführt, der auch die 232. Frage, ob er seine Kandidatur zum Ministerpräsidenten irgendwie doch ein klitzekleinesbisschen selbstkritisch sehe, mit einem konstant freundlichen-sonoren „Nö“ beantwortete.

Nur eine Auszeit vor seinem Ich-nehme-die-Wahl-an-Satz, die hätte er, vielleicht, eventuell und womöglich, beantragen müssen – und sei es, um sich vor dem Eid noch schnell einen Schlips umzubinden. Aber für diese Überlegung war der arme Mann, das hatte ja schon der ausgewiesene Männlichkeitsfachmann Christian Lindner festgestellt, einfach zu übermannt.

Doch nun richtet sich der Blick durch Schneegestöber und Infektionsketten nach vorne, bis hinein in den Frühherbst, wenn Mutanten nicht B.1.1.7 heißen, sondern als schlecht kostümierte Komparsen in C-Horrorfilmen auftauchen.

Am 26. September soll die Landtagswahl gemeinsam mit der Wahl des Bundestags stattfinden. Das jedenfalls ist der Plan der landespolitischen Viererbande, sorry: des postideologischen Viererbobs aus Linke, CDU, SPD und Grünen.

Doch was ist, wenn die Wahl so ausgeht, wie einst im Oktober 2019, und es wieder keine Mehrheit gibt, die sich brav in die bundesrepublikanische Ordnung seit 1949 fügt? Wird dann wieder ein Dörfchenbürgermeister als Regierungschef antreten? Werden dann wieder unschuldige Blumensträuße zweckentfremdet? Oder ruft sogar wieder jemand aus Afrika an?

So ungefähr klangen die bangen Fragen in der Kemmerich-Gedächtnis-Woche. Dabei ist die Antwort recht einfach: Sie lautet Nein.

Es wird schon allein deshalb nicht noch einmal so kommen, weil es schon einmal so kam.

Der 5. Februar 2020 ist eine Zäsur, weil er die politische Wirklichkeit veränderte. Mit seiner zur Pflichterfüllung selbstnobilitierten Perfidie hat Björn Höcke die letzten ausdenkbaren Verbindungen zwischen CDU und AfD auf längere Sicht gekappt. Niemand, nicht einmal die tapferen Kameraden aus der Sachsen-Anhalter CDU, werden mit seiner Partei regieren.

Gleichzeitig nötigte Höcke die Thüringer Union, ihren bundesweit geltenden Abgrenzungsbeschlusses linksseitig zu unterlaufen. Sie verhalf Bodo Ramelow wieder ins Ministerpräsidentenamt und toleriert seitdem seine rot-rot-grüne Minderheitsregierung – wobei es sich, räusper, hüstel, natürlich und ausschließlich um eine „projektbezogene Zusammenarbeit“ der „konstruktiven Opposition“ im Rahmen eines „Stabilitätsmechanismus“ handelt.

Geht also die Landtagswahl, wie die Umfragen besagen, im September so aus wie 2019, werden wohl die Vier ihre bewährte Partnerschaft zum Wohle des Thüringer Volkes fortsetzen, in welcher Weise und Konstellation auch immer. Irgendeine Bezeichnung ließe sich dafür schon finden, die nicht wie Koalition oder Tolerierung klingt. „Erfurter Modell“ vielleicht. Oder „Bratwurst-Connection“. Oder „Mumpelfratz“, die Rechte dafür besitzt der Vorsitzende der glorreichen SPD-Landtagsfraktion.

Worauf sich aber die Linke nebst ihrem immerfreundlichen Ministerpräsidenten einrichten muss: Die CDU wird Ramelow nicht noch einmal ins Amt lassen.

Das liegt gar nicht so sehr an ihm als Mensch und Ministerpräsident, Parteipolitiker und Pilzesammler, Candy-Crusher und Chemtrail-Leugner, Holzspalter und Hundehalter, oder was er sonst noch alles sein mag und will, sondern daran, dass die CDU, solange er im Amt bleibt, keine Wahl gewinnen dürfte. Und niemand kann ausschließen, dass Ramelow 2026 den Kretschmann macht und 2031 den Biden und einfach immer wieder zur Wahl antritt.

Mario Voigt, der CDU-Spitzenkandidat, hat schon mal eine Schallplatte in sein Phrasenregal gestellt. Sie hört sich so an: „Ein Ministerpräsident, dessen Koalition zweimal keine Mehrheit erreicht, ist abgewählt.“

Auf die brüderliche Solidarität von SPD und die Grünen wird sich Ramelow jedenfalls kaum verlassen dürfen. Viele von ihnen fänden es eher prima, wenn die Linke ohne ihren Superbodo endlich auf das ostdeutsche Durchschnittsmaß zurück schrumpfte. Aber pssst, das haben Sie natürlich nicht von mir.