Martin Debes über ein Jahr Corona in Thüringen.

Nächste Woche ist es ein Jahr her, dass das Virus namens Sars-Cov-2 Thüringen erreichte. Alle Beteiligten wirkten von der Situation überfordert, niemand in Deutschland war auf eine Pandemie vorbereitet. Die Politik schwankte zwischen Panikmache und Beschwichtigung – und beschloss schließlich angesichts der Bilder aus den norditalienischen Kliniken und Krematorien gerade noch rechtzeitig den Lockdown.

Um die Kommunikation, um das Erklären kümmerten sich hilfsweise Wissenschaftler. Aber auch sie redeten, was übrigens zum Wesen von Wissenschaft gehört, kreativ durcheinander. Ein Tiefpunkt für alle Beteiligten, der bis heute kaum entschuldbar ist: Von Alltagsmasken wurde offiziell abgeraten.

Aber immerhin: Die erste Welle wurde rasch gebrochen. Dies lag jedoch vor allem daran, dass das Virus, ähnlich dem selbst ernannten Querdenkertum, noch nicht in die Gesellschaft eingedrungen war, zumal ein besonders warmer Frühling begann.

Dennoch brach sogleich allgemeine Erleichterung aus, die Politik feierte sich für ihren Präventionserfolg und nährte fortan falsche Erwartungen. Ein erneuter Lockdown sei unnötig, riefen leibhaftige Bundesminister und Ministerpräsidenten bis in den Oktober hinein, doch da hatte die zweite Welle längst begonnen.

Es gab andere Stimmen, natürlich. Virologen wie Christian Drosten warnten den ganzen Sommer über vor der Rückkehr des Virus. Deutschland laufe Gefahr, schrieb Drosten, seinen Erfolg zu verspielen. Man benötige eine neue Strategie. Doch als Ende Oktober die Lage wieder akut wurde, kramten Bund und Länder hektisch die alten Maßnahmen vom Frühjahr wieder hervor, mit Schließungen, Kontaktbeschränkungen, Hygienekonzepten, die sie mit immer neuen Verordnungen und Änderungsverordnungen administrierten.

Spätestens jetzt wurde die sogenannte Inzidenz zum Maßstab alles Handelns, also die Zahl der Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen.

Abstrakte Grenzen wurden gezogen, bei 35, bei 50, bei 100. Überzeugend erklärt wurden sie nie. Die Gesundheitsämter, hieß es etwa, könnten oberhalb einer Inzidenz von 50 die Infektionsketten nicht nachvollziehen. Abgesehen davon, dass dies vielerorts gar nicht stimmte: Warum wurden dann nicht die Ämter konsequent aufgerüstet und, das vor allem, endlich praktikable Apps eingesetzt, die diese Arbeit für die Behörden übernehmen?

Gesellschaft spaltet sich - auch in Familien und Freundeskreisen

Nebenher räumte man dem einzigen echten Ausweg, dem Impfen, nicht die nötige Priorität ein, weder politisch, finanziell noch organisatorisch. Vom Bestellprozess über die Verteilung bis zur Impfung selbst: Das Ganze wirkt wie ein einziger großer Krampf.

Und die Kommunikation? Tja. Geredet wird viel, aber hauptsächlich gegeneinander, Länder gegen Bund, Länder gegen Länder, Parteien gegen Parteien. Parallel dazu spaltete sich die Gesellschaft auf, selbst in Familien, Freundeskreisen, Nachbarschaften.

Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür liefert Thüringen, das Land, das mit einigem Glück besonders gut durch die erste Welle kam, nur um von der zweiten umso härter getroffen zu werden – übrigens zur authentischen Verblüffung des Ministerpräsidenten, der gemeint hatte, dass ein Land inmitten von Deutschland so etwas wie eine Insel sein könne.

Seitdem stolpert die Landesregierung permastreitend durch die Pandemie, so als währte die Krise nicht schon ein Jahr. Selbst nachvollziehbare Entscheidungen kommuniziert das Kabinett derart fehl, dass sie am Ende erratisch wirken.

So wurde ein Stufenplan mit Tamtam beschlossen, nur um einen Tag später von den Bund-Länder-Gesprächen konterkariert zu werden. Als es dann um die Öffnung der Schulen ging, ignoriert man einfach den eigenen Beschluss. Dazu änderten sich Fristen oder Vorgaben gefühlt täglich.

Ja, die Situation ist extrem kompliziert. Und ja, niemand möchte mit jenen tauschen, die jetzt für Entscheidungen – egal, wie sie fallen mögen – beschimpft werden.

Doch das ändert nichts daran, dass diese Entscheidungen bis zu ihrem Ende durchdacht, konsequent durchgesetzt und professionell kommuniziert sein sollten. Und das sind sie, nach einem Jahr Corona, immer noch nicht.

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