Martin Debes über das Dauernervthema.

Und so geht es also weiter im sogenannten Lockdown, erst ein bisschen härter, dann vielleicht wieder ein bisschen weicher, hier mal so, dort mal anders, mal sehen, wird schon, wir schaffen das. Die Ministerpräsidenten beschlossen mit der Bundeskanzlerin am Montagabend die gefühlt 14. Verlängerung. Wir sind in der dritten Corona-Welle der Mutanten, was sehr nach einem schlechten C-Movie klingt, derweil nicht einmal jeder zehnte Mensch in Deutschland seine Impfung bekommen hat.

Damit bleiben Grundfreiheiten eingeschränkt. Der Katalog findet sich in der aktuelle Thüringer Sonderverordnung: das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit und der Freiheit der Person (Artikel 2 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8), der Freizügigkeit (Artikel 11).

Artikel 5 des Grundgesetzes findet sich nicht darunter. Die Meinung ist frei und wir leben nicht in einer Diktatur, da mögen die steuergeldfinanzierten AfD-Politiker und polizeibeschützten Querdenkerdemonstranten noch so oft das Gegenteil behaupten.

Aber es gibt, wie in allen demokratischen Gesellschaften, den Mainstream, den Hauptstrom der öffentlichen und der veröffentlichen Meinung, der für jene, die andere Positionen vertreten, durchaus unangenehm sein kann. Dieser Mainstream fließt nicht automatisch in die richtige Richtung, natürlich nicht.

Die Mehrheit ist nicht klüger als die Minderheit, sie ist nur die Mehrheit. Aber diese Mehrheit, in Parlamenten repräsentiert, bestimmt in einer Demokratie – wobei, das ist wichtig, die Rechte und Meinungen von Minderheiten in jedem Fall zu schützen sind.

Der Mainstream verändert sich ständig. Das gilt insbesondere für Krisen. 2015, als die Grenzen für die Migranten offenblieben und nicht, wie oft falsch geschrieben wird, geöffnet wurden. Der Umschwung von der sogenannten Willkommenskultur zum Aufstieg der AfD war abrupt.

Seit die Corona-Pandemie ausbrach, wurden mehrere Phasen absolviert. Phase 1 folgte dem Schock über eine dräuende Katastrophe. Es gab kaum belegbares Wissen und keinen Impfstoff – aber die Bilder der Särge aus Bergamo. Während die Politik im gesellschaftlichen Konsens den Lockdown beschloss und selbst die AfD still blieb, begleiteten die meisten Medien die Maßnahmen eher nachrichtlich, ja verlautbarend.

Nachdem Deutschland, auch weil es durch Asien und Italien vorgewarnt war, gut durch die erste Welle gekommen war, begannt mit dem Frühsommer Phase 2. Bestimmend war neben der Erleichterung das Selbstlob, das oft hochmütig daherkam. Man hatte es besser gemacht als die anderen, der Bundesgesundheitsminister war fast der beliebteste Politiker, die Union stieg in den Umfragen. Dass AfD und selbst ernannte Querdenker die Pandemie für nicht existent oder beendet erklären, interessierte eher wenige.

Seit November befinden wir uns in der Phase 3. Sie ist ein endlos erscheinendes Drama, für die Erkrankten, die Angehörigen der Toten, das Klinik- und Pflegepersonal, die betroffenen Unternehmer und Selbstständigen, Künstler, Schüler. Das von der Seitenlinie getroffene Urteil hat sich nun umgekehrt: Alles ist Versagen, Debakel, Katastrophe, mindestens. Schuld tragen wahlweise Föderalismus und Behörden, „die Politik“ sowieso. Die Anmaßung ist umgeschlagen in eine geradezu lustvoll-larmoyante Selbstkasteiung, ein sehr deutsches Verhaltensmuster.

Beides ist falsch. Dieses Land versagt nicht. Dieses Land tut das, was es schon 1990 tat. Als damals fünf, neu genannte Länder unter allgemeiner Euphorie der Bundesrepublik beitraten, sollten sie binnen kurzer Zeit verwestlicht sein, mit Einheitsvertrag, einer Treuhandbehörde und ganz viel Geld.

An der Verfassung, den Institutionen und den bürokratischen Abläufen wurde nichts geändert, war ja alles prima so. Die BRD machte weiter wie gehabt, so, als hätte sie nicht gerade einen Staat mit 17 Millionen Menschen geschluckt, in dem fast nichts mehr war wie zuvor, mit allen heute zu besichtigenden Verwerfungen.

Und sie macht auch jetzt so weiter wie gehabt, so, als würde diese Pandemie unser aller Leben nicht für lange Zeit verändern.

Wie wäre es, nur als Versuch, statt mit Hochmut mit etwas Mut?