Martin Debes über den Föderalismus.

An und für sich ist dieser Föderalismus eine prima Angelegenheit. Schließlich gibt es die Länder in der Bundesrepublik nicht nur aus Tradition oder weil sie die besetzenden Amerikaner wollten – sondern weil sie Sinn ergeben. Der föderale Aufbau folgt dem Prinzip der Subsidiarität. Es besagt in diesem Fall, dass sich der Bund heraushält, wenn die Länder für sich ein Problem besser lösen können.

Die Länder sind damit nur teilsouverän. Sie haben eigene Verfassungen nebst ihren Organen; in manchen, wenigen Bereichen, zum Beispiel in der Schulpolitik oder bei der Polizei, kann ihnen der Bund kaum hineinreden. Ansonsten gibt es eine klare Hierarchie: Bundesrecht bricht Landesrecht.

Der Föderalismus ist aber nicht nur ein Organisationsprinzip. Er wird durch die Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes geschützt, weil er eine Versicherung ist gegen Diktaturen oder Autokratien, die am besten zentralistisch funktionieren.

Nicht umsonst beeilten sich die Nationalsozialisten, die Länder in Gauen gleichzuschalten, derweil die DDR sich rasch daran machte, den Staat in 15 ferngesteuerte Bezirke zu zerteilen.

Nachdem 1945 das Dritte Reich unterging, wurden deshalb als erstes die Länder nebst Regierungen und Parlamenten reaktiviert. Und bevor im Jahr 1990 entschieden war, dass die DDR verschwinden würde, gab es Konsens, dass die Länder wieder auferstehen sollten. Das kleine, aus diversen Herzogtümern zusammengeklöppelte Thüringen war dermaßen stolz auf sich, dass es sich, so wie die einstigen Königreiche Bayern und Sachsen, plötzlich Freistaat nannte. Schließlich stiften die deutschen Länder im multilateralen Europa und in einer globalen Welt auch Identität.

Also, wie gesagt: An und für sich ist der Föderalismus eine gute Sache. Doch er kann auch zermürbend, undurchsichtig, überbürokratisiert sein und, das vor allem: sehr, sehr langsam. Und obwohl die föderale Struktur die Demokratie stabilisieren soll, hat sie auch ungute Tendenzen begünstigt. So führte sie dazu, dass die Parlamente zu Gunsten der Regierungen teilentmachtet wurden.

Und das kam so: Mit zunehmendem Alter wurde die Bundesrepublik immer zentralistischer. Die Länder gaben im Namen der Effizienz oder für höhere Steueranteile Gesetzgebungskompetenzen an den Bund ab. Im Gegenzug durften sie immer mehr Dinge über den Bundesrat mitbestimmen – der jedoch kein Parlament ist, sondern eine Kammer der Landesregierungen. Die Landtage aber auch der Bundestag, der kaum noch etwas allein entscheiden durfte, wurden schrittweise geschwächt. Am Ende, das zeigt vor allem diese Pandemie, sind alle für alles zuständig, Bund, Länder, und Kommunen, derweil immer öfter die Legitimation durch die Parlamente fehlt.

Dies alles wurde weidlich beklagt. Zwei Föderalismuskommissionen von Bund und Ländern mühten sich, das Kompetenzwirrwarr wieder zu entwirren. Doch sie waren nur mäßig erfolgreich.

Das eindrücklichste Beispiel für die strukturelle Schwierigkeit, den deutschen Föderalismus zu organisieren, war lange Zeit die KMK, die Kultusministerkonferenz. Sie scheitert seit Jahrzehnten daran, vergleichbare Bildungsstandards in Deutschland zu organisieren.

Doch nun ist die Mutter aller Ministerkonferenzen, die Ministerpräsidentenkonferenz, zum Sinnbild dafür geworden, wie man es nicht machen sollte: Ein Organ, das nicht im Grundgesetz existiert, bestimmt darüber, welche Freiheiten während einer Gesundheitskrise eingeschränkt werden.

Und so ist das sogenannte Notbremse-Gesetz, das an diesem Dienstag das Bundeskabinett beschließen soll, um es danach Bundestag und Bundesrat vorzulegen, erst einmal eine Reaktivierung der guten, alten demokratischen Ordnung. Das Parlament entscheidet. Zudem könnte, falls das Gesetz verabschiedet wird, die viel beredete Einheitlichkeit der Maßnahmen entstehen, abhängig von der jeweiligen regionalen oder lokalen Lage.

Doch die Länder, sie stünden ziemlich dumm da. Sie wirkten wie Versager.

Und so sei unabhängig davon, wie es ausgeht, eine Bitte formuliert: Wenn diese Pandemie vorbei ist, sollte eine dritte, eine echte Reform begonnen werden. Der Föderalismus ist diese Mühe wert.