Martin Debes reist von Cottbus nach Erfurt.

Die Partei, die aus der SED hervorgegangen war, befand sich in einem Zustand, den man getrost als strukturelle Krise bezeichnen durfte. Ihr Ergebnis bei der Bundestagswahl war schlecht ausgefallen, in den Umfragen schwächelte sie arg. Der Parteivorsitzende trat nicht noch einmal an.

Zur neuen Bundeschefin wurde die 45-jährige Vorsitzende der Landtagsfraktion aus Thüringen berufen, einem Land, in dem die Partei zuvor zugelegt hatte. Man dürfe, so rief die Neue nach ihrer Wahl, sich auch im Bund nicht länger einer Mitregierung entziehen. Die Partei benötige eine Neuausrichtung, Pragmatismus und Kompromissbereitschaft dürften nicht mehr diffamiert werden. „Dass politisches Nachdenken, politische Entwürfe, politisches Handeln pauschal und leichtfertig mit dem Vorwurf der Sozialdemokratisierung belegt wird, ist nicht hinnehmbar“, sagte sie.

Es war im Oktober 2000, als Gabi Zimmer aus Hinternah in Thüringen auf dem Bundesparteitag in Cottbus zur Chefin der PDS gewählt wurde, mit beeindruckenden 95,3 Prozent übrigens. Nebenbei, das war oft die Hauptschlagzeile, bekannte sie sich in ihrer Rede zur „Liebe zu Deutschland“.

Und heute? Zwanzig Jahre danach befindet sich die Partei, die aus der SED und PDS hervorgegangen ist, in einem Zustand, den man getrost als strukturelle Krise bezeichnen darf. Die Ergebnisse sind nicht nur bei der Bundestagswahl schlecht ausgefallen, in den Umfragen schwächelt die Partei arg. Die beiden Vorsitzenden, es gibt inzwischen eine Doppelspitze, treten auch deshalb nicht noch einmal zur Wiederwahl an.

Als Nachfolgerin wird, unter anderem, die 42-jährige Chefin der Thüringer Landtagsfraktion gehandelt. Susanne Hennig-Wellsow, die auch die Landespartei leitet, könnte im November auf dem Bundesparteitag in Erfurt gemeinsam mit Janine Wissler aus Hessen die bisherigen Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger nachfolgen. Ansonsten debattiert die Partei immer noch wie zur Jahrtausendwende darüber, ob sie im Bund gemeinsam mit der SPD und den Grünen nach der Macht greifen sollte oder doch lieber nicht.

Ja, natürlich, in den beiden Jahrzehnten seit jenem Parteitag in Cottbus ist einiges passiert. Die PDS flog, mit Ausnahme zweier direkt gewählter Abgeordneter, aus dem Bundestag, vereinigte sich mit der westdeutschen SPD-Absplitterung WASG zur Linken und zog wieder ein, regierte nach der ersten rot-roten Koalition in Mecklenburg-Vorpommern auch in der Stadt Berlin und in Brandenburg mit – und stellt in Thüringen sogar den Ministerpräsidenten. Selbst im Westen, im kleinen Stadtstaat Bremen, ist die Linke mittlerweile an einer rot-rot-grünen Landesregierung beteiligt.

Doch auf Bundesebene hat sich wenig getan. Die Diskussionen ähneln sich frappierend; es geht, auf beiden Seiten, um Antifa, Außenpolitik und Allfälliges wie Hartz IV und den Verfassungsschutz. „Ich mag die Linke nicht“, sagt der designierte Kanzlerkandidat der SPD, obwohl sie wohl seine einzige Chance ist, Kanzler zu werden.

Dass sich die Sozialdemokraten spätestens seit ihrem Bundesparteitag in Leipzig im Jahr 2013 strategisch nach links geöffnet haben, ist eben in großen Teilen der Partei noch nicht angekommen, vor allem nicht in Westdeutschland, wo sich wiederum die Linke mancherorts noch wie eine trotzkistische Sekte aufführt. Mag die einstige PDS in Ostdeutschland längst als regierungsfähig, ja etabliert gelten: Im Westen existieren, und daran hat auch Bremen nicht grundsätzlich etwas geändert, noch die alten Abwehrreflexe zwischen der Linken und der SPD.

Und so unterscheidet sich die Situation der Linken im Jahr 2020 tatsächlich gar nicht so sehr von jener der PDS im Jahr 2000, als die ostdeutsche Pragmatikerin Gabi Zimmer an die Spitze der Partei gewählt wurde, von der sie keine drei Jahre später wieder fast weggemobbt wurde. Damals wie heute wird die Partei von einem für Außenstehende unübersichtlichen Netz an Gräben durchzogen, aus denen sich die Lager gegenseitig bekämpfen.

Susanne Hennig-Wellsow muss nun schauen, ob sie es sein kann, die hier für Ordnung sorgt – und für die seit 20 Jahren überfällige Neuausrichtung. Immerhin ist sie, im Gegensatz zu Zimmer, sowohl an die äußere Linke der Partei und als auch an ihren realpolitischen Flügel anschlussfähig – und natürlich, das hat sie zuletzt in Thüringen bis zum Überdruss üben dürfen: an die freundliche SPD.