Martin Debes über die Bundeskanzlerin.

Die Frage, ob Besserwisser zu Journalisten oder Journalisten zu Besserwissern werden, ist nach der üblichen Fünf-Minuten-Recherche bei Google als nicht ausreichend erforscht zu bezeichnen und kann deshalb, wir sind seriös und so, an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Fest steht aber, dass Journalisten Besserwisser sind. In der Regel. Meistens. Na gut, immer, jedenfalls in ihrer männlichen Form, womit das generische Maskulinum für diese Kolumne preiswert entschuldigt sei.

Weil das so ist, wissen jetzt Journalisten auch ganz genau, was die Politiker in der Pandemie alles falsch gemacht haben, und alle anderen irgendwie Zuständigen ebenso, bis halt auf die Journalisten, die es vorher besser gewusst hatten. Oder etwa nicht? Hhhm, ich schaue lieber nicht ins Archiv.

Empirisch betrachtet, ist die Besserwisserei besonders ausgeprägt in Zeiten, in denen die Zukunft hinter scharfen Kurven verborgen ist, und sich hinter jeder Kurve etwas befinden kann, was man nicht unbedingt erwartete, obwohl es doch, sagen jedenfalls die Journalisten, völlig erwartbar war, ein Corona-Virus, ein Mad President oder einer dieser Menschen, die meinen, sie müssten für ihren jeweiligen Gott möglichst viele andere Menschen umbringen.

Aber die mediale Besserwisserei ist nicht nur notorisch. Sie ist berufsbedingt, mehr noch, sie besitzt Verfassungsrang. Die Presse ist ja nicht, zumindest nicht vordergründig, deshalb frei, damit sie darüber berichten kann, wo die Bundeskanzlerin einkauft, sondern deshalb, damit sie mitteilen kann, was die Bundeskanzlerin wieder einmal falsch gemacht hat.

Viele etwa, die es zuerst richtig prima fanden, dass Angela Merkel die Grenzen für die Flüchtlinge offenließ, mochten sich später kaum noch an dieses Urteil erinnern. Plötzlich war für sie das Handeln der Kanzlerin nicht mehr ein Akt humanistischer Empathie, sondern nur eine Abfolge von Überforderungen und Fehlkalkulationen.

Aus Sicht der veröffentlichten Meinung hatte sich die Karriere von Angela Merkel vor zwei Jahren erledigt. Sie gab den CDU-Vorsitz ab, die Umfragen fielen, die nächste Wahl dräute: Fortan, da waren sich nahezu alle Kommentatoren einig, würde es bis zum Herbst 2021 kanzlerindämmern.

Tja. Das Interessante ist, dass Journalisten, und dies noch stärker als die sonstige Menschheit, kollektiv auf ihre eigenen Legendenbildungen hereinfallen, wobei dies auch daran liegt, dass sie, pssst, gerne voneinander abschreiben. Mal ist ein Politiker der Überheld, mal der Totalversager, dazwischen passt wenig Wirklichkeit.

Aber genug der koketten Selbstreflexion, wir sind hier nicht auf der Kulturseite. Ach, was soll’s: Ohne mein Wahlgeheimnis zu verraten, so ist doch mitzuteilen, dass ich, wenn es eine Kanzlerdirektwahl gäbe, nur die eine Frau gewählt hätte, und dies schon im vorigen Jahrtausend. Keinen Helmut Kohl, keinen Gerhard Schröder und keinen Edmund Stoiber, sondern immer Angela Merkel.

Oh, ich höre schon die Rufe. Jetzt hat er sich selbst und final als Mitschwimmerling im Zentrum des Mainstreams enttarnt! Eines Mainstreams, der nicht bloß linksgrünliberalverweichlicht ist, sondern eine einzige Angela-Merkel-Patenbrigade! Lauter habituelle FDJ-Sekretäre unter sich!

Selbstverständlich lässt sich dieser Vorwurf schwerlich dementieren, zumal ich bei den Thälmannpionieren im Gruppenrat war, als Verantwortlicher für Agitation und Propaganda; meine Mandela-Wandzeitung bekam eine Urkunde. Dabei ist es viel einfacher, nein: schlichter. Auch wenn ich, was es nicht alles gibt, Politik studierte und jetzt über Politik schreibe, ist es doch so, dass ich eher instinktiv dieser Frau zutraue, existenzielle Dinge für mich mitzuentscheiden. Ich vertraue ihr. Sie ist klug, belastungsfähig und korruptionsfrei. Sie ist so uneitel, wie es jemand auf der politischen Bühne sein kann. Und sie bewegt sich, mit all ihrer ideologischen Flexibilität und ihren machtpolitischen Manövern, in einem ordnungspolitisch, pragmatisch und verantwortungsethisch bestimmten Korridor. Sie schafft das, irgendwie.

Nicht überzeugt? Okay, dann stellen Sie sich bitte vor, der Bundeskanzler hieße, in diesem Pandemiemoment, Friedrich Merz, Armin Laschet oder Norbert Röttgen.

Eben.