Martin Debes über das Ergebnis der US-Wahl.

Nur wenig war wirklich verlässlich vorherzusehen vor der Wahl des US-Präsidenten, die sich, wieder einmal, das Attribut „historisch“ verdient hat. Doch was vorab als völlig sicher gelten durfte, ist nun eingetroffen: Donald Trump akzeptiert seine Niederlage nicht. Als pathologischer Narzisst, der er ist, konnte er noch nie verlieren. Stattdessen tut er im Angesicht des Unvermeidlichen wieder das, was er am besten kann: drohen, lügen, nötigen.

Schon 2016 war von ihm die Tatsache, dass ihn fast drei Millionen Amerikaner weniger als Hillary Clinton gewählt hatten, auf vorgebliche, massenhafte und nie belegte Fälschungen geschoben worden. Und auch vor dieser Wahl nährte Trump systematisch das Misstrauen in die Briefabstimmung und erhob absurde, unbewiesene Fälschungsvorwürfe.

Damit war die propagandistische Basis dafür gelegt, was in der Geschichte der USA in dieser Form noch nicht vorkam: Ein Präsident weigert sich, seine Abwahl anzuerkennen, und behauptet stattdessen dreist, dass ihm die Mehrheit gestohlen worden sei.

Dabei erledigt sich der von Trump-Anhängern bemühte Vergleich zu der Wahl vor 20 Jahren, als Al Gore nicht einfach gegenüber George W. Bush aufgeben wollte, schon auf den ersten vorsichtigen Blick. In Florida, einem großen Bundesstaat, ging es damals um 537 Stimmen. Diesmal sind es Zehntausende Stimmen.

Selbst wenn jetzt Auszählungen wiederholt und einige Stimmen für ungültig erklärt werden sollten, so wird dies nichts daran ändern, dass Joe Biden gewählt ist und nicht Trump. Dafür ist der Vorsprung viel zu groß.

Deshalb ist der friedliche Transfer der Macht – ein zentrales Merkmal von Demokratie – auch nicht ernsthaft gefährdet. Am Ende kann sich Trump der Realität nicht vollständig verweigern. Sogar in seinem Paralleluniversum wirken neben der Kraft des Faktischen die politischen Naturgesetze.

Dies bedeutet: Der 45. Präsident wird so wie seine 44 Vorgänger mit Amtseinführung des Nachfolgers das Weiße Haus verlassen, wenn auch nur unter Protest – und ohne die formale Anerkennung seiner Niederlage. Außerdem: Donald Trump dürfte mächtig bleiben. Dabei ist es gar nicht so wichtig, dass ihm jetzt, da ihn sein Amt nicht mehr vor Ermittlungen schützt, unangenehme Strafverfahren drohen und vielleicht sogar Insolvenzen.

Denn auch ohne das Präsidentenamt folgen ihm fast 90 Millionen Menschen auf Twitter. Dort und anderswo wird er die Legitimität des 46. US-Präsidenten infrage stellen und unaufhörlich gegen all jene hetzen, die er als seine Gegner ansieht. Die republikanische Partei, die ihm seit 2016 beinahe hörig folgte, dürfte er allein schon durch die angedeutete Möglichkeit einer erneuten Kandidatur im Jahr 2024 halbwegs gefügig halten.

Kurzum, der Trumpismus wird nicht mit der Trump-Präsidentschaft verschwinden. Sein Nachfolger, ein fast greiser Mann, dürfte hingegen alle Mühe haben, das gespaltene Land zu versöhnen – mitten in Pandemie, Wirtschaftskrise und gegen die feindlichen Teile des Parlaments. Denn ob die Nachwahlen in Georgia die republikanische Mehrheit im Senat brechen werden, ist alles andere als gewiss.

Die Aufgabe ist riesig. Die immensen sozialen Verschiebungen, der Klimawandel, die Digitalisierung, die Migrationsströme, die weltpolitischen Risiken, die Terrorgefahr: All das konzentriert sich auf den immer noch wichtigsten Mann dieser Erde, der erstmals – auch das ist ein Teil der historischen Bedeutung dieser Wahl – mit Kamala Harris eine farbige Frau als Vize an seiner Seite hat.

Hinzu kommt: 71 Millionen US-Amerikaner haben nicht ihn, sondern Donald Trump gewählt. Längst nicht alle sind die notorischen alten weißen Männer, die um ihre Privilegien fürchteten. Auch viele Menschen, die noch nie so etwas wie Privilegien besaßen, vertrauten Biden nicht.

Und trotzdem. Die demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez aus New York, die im Rekordtempo zur Ikone der globalen Linken wurde, antwortete zuletzt auf die Frage, was durch die Wahl Bidens erreicht wurde: „Wir befinden uns nicht mehr im freien Fall in die Hölle.“

Was immer man auch sonst von manch ihrer Aussagen halten mag: Damit hat sie recht.