Martin Debes besteht auf seiner Meinung.

Das Schaffen von Dieter Nuhr habe ich früher mal geschätzt, seine Art, wie er, mit müdem Blick, eine Pointe wie einen Kaugummi langsam aufblies, um sie dann platzen zu lassen. Später langweilte mich das eher, es war immer dasselbe, irgendwie, und ich schaltete ab.

Als Nuhr in die Nachrichten geriet, weil er sich an Greta Thunberg abarbeitete, sah ich mir ein paar Videoschnipsel an und fand ihn immer noch nicht wieder witzig, eher angestrengt und ziemlich eingeschnappt, so, als habe ihm jemand seinen Anwohnerstellplatz zugeparkt, weshalb er nun im Halteverbot steht, aber keine Lust hat, die Polizei zu rufen, weil er ja nicht so einer ist.

Zuletzt, ich versuchte mich gerade vergebens an der Befolgung des neuen Trends „Twitterfreie Ferien“, tauchte Nuhr in meiner Sommerlochblase auf. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, kurz DFG, hatte ihn gebeten, etwas zu ihrem 100. aufzusagen. Und Nuhr sagte: „Wissen bedeutet nicht, dass man sich zu 100 Prozent sicher ist, sondern dass man über genügend Fakten verfügt, um eine begründete Meinung zu haben.“

Das war ein in jeder Hinsicht korrekter Satz, politisch und ökologisch, dazu vegan und glutenfrei, nur nicht durchgegendert. Aber das war für jene, die sich extremempörten, gar nicht das Problem.

Das Problem war Nuhr an sich: Einer, der über Klimagreta Witze macht, muss ein Wissenschaftsfeind sein und darf dann auch nie mehr etwas zur Wissenschaft sagen. Außerdem, das schwang mit, sei er ein alter, weißer und bestimmt rechter Sack.

Die DFG, völlig überfordert, tat daraufhin etwas richtig Blödes: Sie verbannte Nuhr von ihrem Internetauftritt, worauf erwartungsgemäß der entgegengesetzte Furor einsetzte. Die Parallele auf beiden Seiten: Der Vorgang wurde zum Menetekel einer jeweils linken oder rechten Machtergreifung, drunter geht es für kollektivtraumatisierte Deutsche ja nie. Buxtehude ist Weimar oder so ähnlich.

Ähnliches widerfuhr der Kabarettistin Lisa Eckhart, die ihrem Publikum eine Satire mit mehreren Ebenen zutraut. Überhaupt kann jede beliebige Interessengruppe Beispiele dafür aufzählen, wie Menschen, weil ihre Meinung nicht mehr gelitten ist, Auftrittsverbot bekommen. Linke Identitätspolitik und rechter Kulturalismus bilden dabei mit ihren festen Opfer-Täter-Schemata das Hufeisen der Heuchelei.

Nun ist der menschliche Makel so alt wie die Menschheit selbst. Doch insbesondere Menschen, die in der sogenannten ehemaligen DDR lebten, fühlen sich unweigerlich an etwas erinnert, so wie dieser Duft in der Drogerie, hinten, bei den Waschmitteln, ein bisschen nach Intershop riecht.

Das ist zum Beispiel Birk Meinhardt, ein preisgekrönter und schriftstellernder Journalist, der schon in der DDR Sportreporter war und später, als einer der ganz wenigen Ostdeutschen, bei der Süddeutschen Zeitung groß rauskam, bis er auch dort das Gefühl bekam, nicht mehr das schreiben zu können, was er schreiben wollte. Wenn man sein gerade erschienenes Buch über diese Zeit liest, ist darin einige matussekhafte Kränkung zu spüren. Was Meinhardt aber von anderen mit Talent und Glück privilegierten Opfern unterscheidet, ist die Referenzerfahrung, die er mit allen teilt, die vor, sagen wir mal, 1975 in der DDR geboren wurden.

Denn wir wissen, wie es sich anfühlt, wenn Meinung verborgen und verbogen wird. Und wir haben diesen einen, unerhörten Moment gehabt, in dem, ebenso gefühlt, alles sagbar war, und in dem der eben noch allautoritäre Staat zu einem hilflos grinsenden Vopo zusammenschrumpelte, der uns vor der Grenze in den Glitzerwesten durchwinkte.

Doch in diesem Moment entstand ein Missverständnis. So sehr uns die Logik etwas anderes mitteilte, so sehr wollten wir daran glauben, dass der Westen das freie Wirtschaftswunderland aus der Werbung war. Dass aber die Geschichte der Bundesrepublik unter anderem eine Geschichte erbitterter Meinungs- und Verteilungskämpfe ist, dass selbst in einer Demokratie der Mainstream zum Rinnsal der Mächtigen verkommen kann, dass die Freiheit gefährdet und immer neu zu erringen ist: Dies mussten wir unter Schmerzen lernen, und das macht manchen Ostdeutschen zu dem, was er jetzt ist, einem daueraggressiven, notorisch überempfindlichen, verschwörungsaffinen Trotzkopf, der trotzdem ein Sensor dafür sein kann, dass etwas im Argen liegt.