Martin Debes über „Revolutionsäggsbärden“.

Der Sachse ist, diese Tatsache ist spätestens seit 1979 auch musikalisch etabliert, en eichen Ding. Er wirkt gleichermaßen einfach und schwierig, bescheiden und anmaßend, provinziell und weltoffen.

Der Sachse kann auf eine lange und große Geschichte verweisen, auf Glanz und Gloria, Schlösser und Schlachten, Niederungen und Niederlagen. Er bewohnt ein Gebiet voll urbaner Kraft, landschaftlicher Schönheit und provinzieller Tristesse, in dem sich die Slawen mit Germanen mischten und aus dem Horch der Trabant wurde.

Der Sachse spricht eine eigene Sprache, die in ihrer reinen, unverfälschten Ausprägung nur manchmal ein bisschen komisch klingt, vor allem aber gemütlich und weich, und die von dieser typisch sächsischen Ambivalenz ist, die Zugereiste nie ganz verstehen werden. Ein „Äggsbärde“, dies nur als Beispiel, kann einerseits ein Experte sein, andererseits aber auch das glatte Gegenteil davon.

Im Übrigen ist der Sachse ein Revolutionsäggsbärde. Das zeigte er 1848 und 1918 und natürlich erst recht vor 30 Jahren, als er, vor allen anderen, in Leipzig oder Plauen friedlich demons-trierte und in Dresden Steine auf die Genossen von der Polizei warf.

Der Thüringer versuchte seit der Wiedergründung der Länder, mit dem Sachsen wettzukämpfen. Wenn der Sachse weniger Schulden hatte, dann war der Thüringer ein bisschen weniger arbeitslos. Wenn der Sachse bei Pisa den Thüringer schlug, dann revanchierte sich der Thüringer bei Iglu. Und wenn der Sachse sich mit dem ollen Bach brüstete, dann wies ihn der Thüringer sanft daraufhin, was der Johann Sebastian wirklich war.

Aber der Thüringer kann sich anstrengen wie er will. Er bleibt doch immer der sächsische Bruder, der vor mehr als einem halben Jahrtausend das kleinere Los zog. Nachdem sich Ernst und Albert die Macht aufteilten, zersplitterte das ernestinische Thüringen zu immer kleineren Residenzen, während sich das albertinische Sachsen als blattvergoldetes Königreich hielt. In der Folge entstanden zwar im Westen lauter hübsche und teils ziemliche kulturvolle Residenzen in Städtchen wie Weimar, Gotha oder auch Hildburghausen, während sich Dresden und Leipzig zu Metropolen aufschwangen.

Nach der Zerschlagung des ewigen Konkurrenten Preußen ist das wiederauferstandene Sachsen das mit Abstand stärkste Land im Osten, das nach 40 Jahren DDR-Bezirkswesen eine eigene, gewachsene Identität besitzt. Sachsen hat nicht nur die meisten Einwohner, es ist auch das größte ostdeutsche Flächenland mit Großstädten, Flughäfen und Messen, die diese Bezeichnung verdienen. Ohne Sachsen geht im Osten nichts.

Dies lag auch an der politischen Stabilität, die Kurt Biedenkopf das erste Jahrzehnt personifizierte. Sein Habitus als demokratisch gewählter König gefiel dem Sachsen, der bei all seiner Aufmüpfigkeit immer auch Monarchist blieb. Also wählte er bei Landeswahlen nach 1990 stets mit absoluter und danach doch mindestens mit relativer Mehrheit die CDU.

Doch schon unter Biedenkopf wurden fatale Fehler begangen. Die Städte gewannen auf Kosten des Landes, zudem verkam das Sparen zum Selbstzweck. Doch die CDU regierte in bräsiger Beratungsresistenz immer weiter.

Nun also ist für manchen Sachsen wieder Revolutionszeit. Es hat sich allerlei angesammelt, im Osten insgesamt, aus der DDR, aber vor allem aus der Zeit danach. Einiges ist verständlich, einiges nicht, aber weil alles miteinander vermischt wird, riecht es nicht gut, zumal der Verwesungsgeruch der Groko aus Berlin herüberweht. Das Mittel der Wahl ist die AfD, wobei es zunehmend weniger Sachsen stört, dass sie im Land ein besonders unangenehmer Verein ist, von dem der Weg ohne Krümmung über Pegida zur Freitaler Bürgerwehr führt.

Nein, das ist längst kein Spaß mehr, kein Wir-zeigen-es-denen-mal-oben-Protest und schon gar keen eichen Ding. Der Sachse, der so wählen will, sollte sich wenigstens darüber klar werden, was er will. Die Unregierbarkeit seines schönen Freistaats? Ungarische Verhältnisse? Die Implosion der EU? Oder: Björn Höcke?

Der Sachse sollte am 1. September, am Tag der Landtagswahl, schon mal hinüber ins kleine Bruderland Thüringen schauen. Dort tritt am 27. Oktober ein AfD-Spitzenkandidat an, der die simple Frage, ob er für NPD-Blätter schrieb, nicht beantworten will.

Nein, wer diese Partei wählt, egal wo, der wählt nicht bloß Protest.

Er wählt Höcke.