Martin Debes über eine Partei im Klimawandel.

Die deutschen Grünen, das wird man ja noch mal sagen dürfen, sind neunmalkluge, besserverdienende, moralinsaure Akademiker, die sich in all ihrer Kleinbürgerlichkeit linksalternativ gebärden und ansonsten den Nichterleuchteten, also allen anderen, in genderneutraler Sprache vorschreiben, wie sie zu essen, zu reden und zu denken haben.

Sie selbst halten sich eher nicht dran. Leitungswasser für alle predigen, selbst aber Grauburgunder vom Winzer trinken: Was für eine humorlose Heuchlertruppe.

Falls dies jetzt hochmögende Grünenpolitiker_I*nnen gelesen haben sollten: Bitte langsam ein- und ausatmen, wie im Yoga-Kurs. Das war Satire, diese sogenannte.

Dabei, zuweilen machen es die Grünen den Dieter Nuhrs dieser Welt recht einfach. Im Zweifel lässt sich immer irgendein Öko-Snob finden, der das platteste Stereotyp bestätigt. Doch die Häme tropft längst nicht mehr so flüssig wie einst. Die Zeiten haben sich geändert, und mit ihnen der Zeitgeist, wie das schöne deutsche Exportwort lautet. Vor allem aber: Die Partei hat sich verändert, entwickelt und, ja, angepasst.

Vier Jahrzehnte, die Lebensdauer ganzer Staaten, währte es, bis endgültig aus einer anarchischen Protestbewegung eine effiziente Parteimaschine wurde, die jetzt sogar, ohne ausgelacht zu werden, um die Kanzlerschaft konkurrieren könnte. Den radikalökologischen Flügel stieß die Partei zur Halbzeit ab, parallel dazu saugte sie die Reste der DDR-Bürgerbewegung auf. Das war die Voraussetzung für die Regierungsbeteiligung im Bund ab 1998.

In den sieben Jahren unter der SPD mussten die Grünen jedoch lernen, dass Regieren bedeuten kann, als Friedensaktivist in Kriege zu ziehen oder als Linksgesinnter die Sozialhilfe zu schleifen. Die unvermeidliche Dissonanz zwischen porentief reiner Theorie und realpolitisch schmutziger Praxis schmerzte Mitglieder wie Wähler, beim Dosenpfand, beim Atomausstieg, bei der Energiewende. Wenig funktionierte wie erdacht.

Dieser Schmerz ist bis heute in ergrünten Landesregierungen zu erfühlen. Es ist eben nicht einfach, Autos abzuschaffen, wenn lauter Autofabriken im Ländle herumstehen. Und es wird auch nicht die Natur geschützt, wenn eine Natura-2000-Station im Vessertal steht.

Aber jeder halbwegs reflektierte Mensch vermag ja an sich selbst zu beobachten, dass zwischen der Beschreibung eines Problems und dessen Lösung ein Unterschied besteht. Für Klimaschutz zu sein, ist abstrakt recht leicht. Schwerer wird es, konkret etwas dafür zu tun. Deshalb sind auch 93 Prozent der Deutschen für mehr Klimaschutz. Aber nur 36 Prozent finden, dass es wirklich damit drängt.

Dennoch macht die Kraft der Grünen aus, dass die Fragen, die ihren Kern definieren, immer akuter werden. Die Umwelt wird zerstört, die Ressourcen sind endlich und die Erderwärmung mit all ihren Folgen ist real. Für diese Erkenntnis muss niemand in die tauende Arktis schippern oder auf die absaufenden Malediven fliegen. Es reicht schon ein Waldspaziergang.

Angesichts dieser Tatsachen haben die Grünen nicht nur beim Klimaschutz die gefühlte Mehrheit der Gesellschaft hinter sich. Die meisten Deutschen sagen in Umfragen, dass das Artensterben beendet gehört, die Massentierhaltung grausam ist und wir insgesamt nachhaltiger lebten sollten.

Was tun? Die beiden aktuellen Vorsitzenden der Partei, Annalena Baerbock und Robert Habeck, sind das quasi-evolutionäre Ergebnis aller Erfolge und Enttäuschungen in 40 Jahren. Wer den Digitalparteitag am Wochenende im Internet verfolgte, der erlebte die zuweilen bemühte, aber professionelle Inszenierung eines unverhohlenen Herrschaftsanspruchs.

Die Partei verabschiedete sich von ihren letzten esoterischen Rudimenten und, leider, auch von Teilen ihres direktdemokratischen Erbes. Und sie fand einen Kompromiss in der Klimapolitik, mit dem man nicht von Fridays-for-Future-Demonstrationen gejagt wird und trotzdem mit Markus Söder über eine Koalition verhandeln kann.

Ob das reicht, die Welt zu retten? Nie und nimmer. Aber nur auf diesem Weg kann es den Grünen überhaupt gelingen, ihre Positionen durchzusetzen, ob nun als Kanzlerpartei oder großer Juniorpartner. Wie kalauerte Habeck zuletzt: Macht kommt von machen.