Martin Debes über rot-rot-grüne Querelen.

Die Lage der Thüringer Koalition ist nicht gut. Kabinettsmitglieder reden böse übereinander oder streiten sich in Regierungs- oder Parteirunden. Die Haushaltsverhandlungen stocken. Wenn etwas regiert, dann ist es oft genug das gegenseitige Misstrauen.

Allerdings kann dies angesichts der Umstände – der allgemeinen wie der besonderen – keine Überraschung sein. Eher wirkt es erstaunlich, dass es Linke, SPD und Grüne nach außen hin noch halbwegs miteinander aushalten.

Zu den allgemeinen Umständen: Wenn Menschen in einer Demokratie bestimmte Grundwerte teilen, ähnliche politische Interessen verfolgen oder schlicht an die Macht wollen, bilden sie eine Partei. Die Unterschiede werden, so gut es denn geht, in Programmen eingeebnet, brechen aber immer wieder in Lagerkämpfen auf.

Noch unübersichtlicher wird die Situation in einer Koalition, also einem vertraglich fixierten Zweckbündnis unterschiedlicher, innerlich rumorender Parteien, um eine Regierung zu bilden, weil es allein nicht zur Mehrheit im Parlament reicht. Je mehr sogenannte Partner zusammenfinden müssen, umso komplizierter wird es.

Jenseits dessen herrschen in Thüringen bekanntlich sehr besondere Umstände. So wurde vor fünfeinhalb Jahren eine der ersten Dreierkoalitionen in Deutschland gebildet. Es war das erste rot-rot-grüne Bündnis und sowieso das einzige, das von der Linken geführt wird. Und es besaß nur eine knappe Mehrheit.

Der Streit blieb nicht aus, bei den freien Schulen, wo die Grünen gegen SPD und Linke standen, oder beim Verfassungsschutz, wo sich Linke und Grüne an der SPD abarbeiteten. Über allem stand der strategische Zielkonflikt: SPD und Grünen fürchteten mit einigem Recht, unter einem linkspopulistischen Alphapolitiker Bodo Ramelow unsichtbar zu werden.

Und dennoch: Linke und Grüne durften erstmals in Thüringen regieren, und die SPD war froh, der christdemokratischen Fron entronnen zu sein. Zudem versuchte der linke Ministerpräsident alles, die Ängste der kleineren Partner zu beruhigen, mit Zugeständnissen, Posten und Augenhöhe-Rhetorik.

Außerdem war da ja noch das viele Geld. Nie brummte die deutsche Konjunktur so laut wie in den rot-rot-grünen Jahren. Die Regierung konnte so viel ausgeben, wie sie wollte für verkorkste Gebietsreformen, Straßenanlieger und gebührenfreie Kindergartenjahre: Am Ende blieb immer etwas übrig.

Aber dann ging mit der Landtagswahl im vergangenen Herbst die Mehrheit verloren, derweil auch keine andere ohne Beteiligung einer teilfaschistoiden AfD in Sicht war. Die kleinen Partner bekamen eindrücklich vorgeführt, dass sie weder ein beliebter Spitzenkandidat (SPD) noch ein Rekordbundestrend (Grüne) vor der Niederlage bewahren konnte. Sie waren hinter Ramelow und der Linken verschwunden.

Doch für SPD und Grüne gab es eben keine wirkliche Alternative zur Linken, was mit der Partei zusammenhängt, die sich Alternative nennt. Also versuchte Ramelow, sich von einer rot-rot-grünen Minderheit im Landtag wählen zu lassen. Das Ergebnis, das von allen Beteiligten riskiert wurde, war die unglaubliche 28-Tage-Regierung des Thomas Kemmerich.

Inzwischen sitzt Ramelow wieder in der Staatskanzlei, aber für den Preis eines Paktes mit der Union und baldiger Neuwahlen. Zugleich wirkt er nach seiner ganz persönlich politischen Nahtoderfahrung noch stärker wie ein Solitär, der im Zweifel auf seinen formidablen Instinkt und nicht irgendwelche Vizeministerpräsidenten hört. Augenhöhe war einmal.

Aber nicht nur er, die gesamte Koalition leidet seit dem 5. Februar unter einem kollektiven Trauma, das durch die Pandemie nur zwischenzeitlich betäubt wurde. In diesem prekären Zustand muss sie sich als Minderheitsübergangsregierung mit einer lädierten CDU arrangieren, derweil das ganze schöne Geld, mit dem sonst jeder Streit gelöst wurde, einfach vom Corona-Virus geklaut wurde.

Die Lage der Koalition ist derart misslich, dass erste, vorsichtige Trennungsgerüchte durch Erfurt wabern, mit einem eskalierenden Etatstreit als möglichem Exit. Doch das Prinzip der Machterhaltung spricht eher dafür, dass der Haushalt in kollektiven Krämpfen verabschiedet wird und danach der Wahlkampf von jedem gegen jeden zu beginnt. Oder wie dieser schönen Tage ein gleichermaßen leidgeprüfter wie sarkasmusgeübter Oberkoalitionär sagte: „Das wird ein bunter Herbst.“