Martin Debes über Bodo Ramelow und „neue Wege“ zur Regierungsbildung.

Zumeist erschließen sich die Verwirrungen des Daseins nicht als Ganzes. Da ist zum Beispiel Bodo Ramelow, der Mann aus Osterholz-Scharmbeck, dem wenig geschenkt wurde in seinem Leben, und der vielleicht deshalb immer gekämpft hat, mit sich und der Welt. Wenn die meisten den einen, breiten Weg gingen, nahm er oft allein den anderen, schmalen, unbekannten.

Drei Episoden. Als Gewerkschaftsfunktionär weigerte sich Ramelow, in die SPD einzutreten. Schließlich, vor 20 Jahren, ging er dann in die PDS, die damals selbst von Sozialdemokraten so behandelt wurde, als sei noch Erich Honecker ihr Generalsekretär.

Vor etwa zehn Jahren, als es im Landtag eine solide rot-rot-grüne Mehrheit gab, aber die SPD noch nicht bereit war, einen linken Ministerpräsidenten zu ertragen, tat Ramelow etwas, was Gregor Gysi in Berlin wie ein Rumpelstilzchen hüpfen ließ: Er verzichtete auf den Regierungsvorsitz, einfach so, und bot ihn den Sozialdemokraten an, die, verzagt wie sie waren, aber lieber die CDU-Front wählten.

Vor fünf Jahren, als die Mehrheit von Linke, SPD und Grünen auf eine einzige Stimme zusammengeschrumpft war, zog Ramelow die Verhandlungen trotzdem durch, stellte sich zur Wahl und schaffte es im zweiten Wahlgang zum Ministerpräsidenten. Danach fuhr er in das parteieigene Hotel im Thüringer Wald, und sagte sinngemäß der versammelten Bundesspitze, dass ihn die Parteilinie nicht mehr interessiere. Er sei jetzt für ganz Thüringen da.

Ramelow kündigte dies nicht nur an. Er tat es auch, ob nun im Land, im Bundesrat oder in Israel. Irgendwann schien es so, als seien die Linke und ihr einziger Ministerpräsidenten nur noch lose miteinander verbunden, als Wahlzweckbündnis zum gegenseitigen Vorteil – was aber, wie vieles, eben nur so schien. Oder gar: scheinen sollte.

Voriges Jahr dann, vor der Landtagswahl am 27. Oktober, führte er, der linke Ministerpräsident, mit dem CDU-Oppositionsführer Mike Mohring ein geheimes Gespräch. Dabei ging es um die sich abzeichnende Lage, dass weder Linke noch Union eine Mehrheitsregierung bilden können. Das Treffen fand angeblich in der Waldhütte Ramelows an der Bleilochtalsperre statt. Zwei Männer und das Thüringer Meer: Das ist fast schon zu hübsch, um wahr zu sein.

Was genau Bodo Ramelow und Mike Mohring beredeten, wissen nur sie selber. Gewiss ist, dass am Morgen nach der Oktoberwahl der Ministerpräsident dem CDU-Landeschef ein Gesprächsangebot per SMS zukommen ließ. Mohring war zu diesem Zeitpunkt bereits dabei, öffentlich eine Kooperation mit der Linken auszuloten. Er tat dies allerdings so ungeschickt und ungestüm, dass er den erwartbaren Widerstand vervielfachte – und als Reaktion eine AfD-Öffnungsdebatte erzeugte.

Das Fenster der historischen Möglichkeit war damit schon wieder geschlossen, bevor es sich richtig öffnen konnte. Danach herrschte zwei Monate Sprachlosigkeit zwischen der Partei, die Thüringen 24 Jahre aus der Staatskanzlei regiert hatte, und der Partei, die dort seit fünf Jahren herrscht.

Die Linke verhandelte währenddessen mit SPD und Grünen über eine Fortsetzung von Rot-Rot-Grün als Minderheitsregierung. Die CDU verabredet mit der FDP Gesetzentwürfe, die auf Ablehnung der Linken stießen – aber bei der AfD Zustimmung auslösten.

Alles lief auf Konfrontation, ja Destruktion hinaus, bis auch Ramelow den Hinweis bekam: Joachim Gauck würde in einem Interview die Union neuerlich auffordern, mit der Linken zu verhandeln. Nachdem dies geschehen war, folgte sogleich der ziemlich diffuse Vorschlag des Ex-CDU-Ministerpräsidenten Dieter Althaus, eine gemeinsame „Projektregierung“ zu bilden, vermittelt durch den Altbundespräsidenten. Ein Zufall war dies alles nicht.

Andere hätten womöglich gezögert und sich nicht auf ein Notkonstrukt alter konservativer Männer eingelassen. Warnungen aus den drei Koalitionsparteien gab es ausreichend. Aber Ramelow ist Ramelow. Er will an Rot-Rot-Grün festhalten und gleichzeitig mit der CDU reden, über „Projekte“. Schließlich, da hat er Recht, muss ja irgendwo die verdammte Mehrheit herkommen – und zwar ohne die AfD-Fraktion, die ein Mann führt, der mitunter wie ein Nationalsozialist redet.

Es gehe um „neue Wege“ twitterte er am Sonntagabend, nachdem er mit Gauck und Mohring zu Abend gespeist hatte. Für das Land. Und für ihn.

Regierungsbildung in Thüringen: Gauck trifft sich mit Ramelow und Mohring