Martin Debes zur politischen Gesprächslage.

Ein Satz kann eine Mauer öffnen. Ein anderer Satz kann sie wieder schließen.

Die Geschichte, wie es dazu kommen konnte, dass in Thüringen zwischen den beiden wichtigsten Politikern, die das Land aus der kompliziertesten Situation seit seiner Wiedergründung befreien müssen, eine Mauer steht, beginnt am Morgen des 28. Oktober. Wenige Stunden, nachdem er die Landtagswahl verloren hatte, stand der CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring im ARD-Hauptstadtstudio in Berlin und sagte, dass seine Partei, trotz der Wahlniederlage, Verantwortung übernehmen wolle für das Land. Die Journalistin, die das kurze Interview führte, fragte nach: „Jetzt interpretiere ich das mal, dass Sie sagen, jemand der Verantwortung übernimmt, der geht auch mit in die Regierung, mit den Linken?“

Mohring schluckte, dann antwortete er: „Wir sind bereit für so ’ne Verantwortung, müssen zunächst ausloten: Was heißt das für Thüringen? Das heißt, das, was wir vor der Wahl zugesagt haben, kann man nach der Wahl umsetzen. Mir sind stabile Verhältnisse wichtiger für das Land, als dass es nur um parteipolitische Interessen geht.“

Da war er also, live und in Farbe, der Mauerfall, oder genauer: Das Loch in der Mauer, durch das Mohring seinen Kopf steckte, um zu schauen, was da noch gehen könnte für seine Partei. Es war implizite Bereitschaft für eine Zusammenarbeit, vielleicht sogar für eine gemeinsame Regierung.

Danach fuhr Mohring vom Studio an der Spree hinüber zum Konrad-Adenauer-Haus, zur Sitzung von Präsidium und Vorstand der CDU. Kurz nach 9 Uhr, während er mit Annegret Kramp-Karrenbauer, Angela Merkel, Paul Ziemiak und all den anderen zusammensaß, erhielt er eine SMS von Bodo Ramelow. Der linke Ministerpräsident zitierte die Worte seines Vorvorvorgängers Bernhard Vogel, die man eigentlich, so oft, wie sie derzeit zitiert werden, getrost auch über die Eingangstür der Staatskanzlei in Erfurt meißeln könnte: „Erst das Land, dann die Partei, dann die Person.“ In diesem Sinne, teilte Ramelow mit, stehe er bereit für ein Gespräch, jederzeit, im Vertrauen.

Er sitze gerade in den Gremien, antwortete Mohring per SMS. Er rufe zurück. Danach erzählte er den Parteikollegen sogleich vom Angebot Ramelows. Dabei sagte er laut der Bild-Zeitung diese Sätze: „Ich brauche das Vertrauen und die Freiheit, dass ich mit ihm reden kann. Ramelow ist inhaltlich leer. Und wir werden als Union alles mit ihm machen können. Ich halte es sonst nicht durch, wenn wir nicht reagieren.“

Wenig später, daheim in Thüringen, klingelte das Handy von Michael Heym, dem Stellvertreter Mohrings in der Fraktion. Parteikollegen aus Zella-Mehlis riefen an. Ob er gehört habe, was sein Vorsitzender gerade im Fernsehen gesagt habe? Das sei doch nicht zu glauben. Das könne man doch nicht so stehen lassen.

Heym schaute ins Internet, las die Aussagen Mohrings, und nein, vermochte es kaum zu glauben. Wenig später klingelte das Handy erneut. Der MDR war dran. Ob er nicht etwas sagen wolle, zur Lage im Land?

Und ob der Fraktionsvize wollte: Die Lage der Thüringer CDU sei dramatisch, erklärte er. Und wenn man schon mit der Linken reden müsse, antwortete er – dann eben auch mit der AfD.

Währenddessen quollen die Nachrichtenagenturen über. In Berlin dekretierte Ziemiak, dass es keine Gespräche mit der Linken geben könne, dies widerspreche allen gültigen Parteibeschlüssen. In Thüringen sagte es Mohrings alter Erbfeind und Parteistellvertreter Mario Voigt ähnlich.

Am Montagabend in Erfurt, in der Sitzung des Landesvorstands, wurde dann Mohring ein Satz in die vorbereitete Pressemitteilung hineindiktiert, der darin zuvor nicht gestanden hatte. Er lautete: „Ich (also Mohring) kann mir keine Situation vorstellen, dass die abgewählte rot-rot-grüne Landesregierung durch die Unterstützung der CDU in eine neue Regierungsverantwortung gehoben wird.“

Der Ministerpräsident hatte derweil längst in der Bild gelesen, was der Unionsvorsteher angeblich am Vormittag im Adenauer-Haus über ihn gesagt haben sollte: Über Ramelows inhaltliche Leere und darüber, dass die CDU alles mit ihm machen könne. Ein Anruf des CDU-Vorsitzenden, der, vielleicht, zu einer Klärung oder Richtigstellung geführt hätte, blieb aus.

Und so zog der Regierungschef, wieder per SMS, sein Gesprächsangebot zurück.

Die Mauer stand vorerst wieder.