Martin Debes über Ansprüche und Realität.

Mit zunehmendem Lebensalter fühlen sich Menschen wie Berichterstatter genötigt, bekannte Geschichten noch einmal zu erzählen – zumal dann, wenn sich diese Geschichten in Abwandlung zu wiederholen scheinen.

Denn so sehr sich Zeiten und Umstände geändert haben mögen: Die daran Beteiligten und ihre Interessenlagen blieben doch oft genug dieselben – was sich allein schon daran festmachen lässt, dass die aktuelle Thüringer Nachrichtenlage durch einen Christdemokraten namens Dieter Althaus bestimmt wird.

Also. Es begab sich im Monat November vor gut fünf Jahren, als sich Linke, SPD und Grüne zu ihrer nigelnagelneuen und nie zuvor gesehenen Koalition zusammenschließen wollten. Die letzten offenen Details des zugehörigen Vertrags sollten besprochen werden.

Doch das Detail, was die Linke überraschend hervorkramte, war ein politischer Sprengsatz: Die designierte grüne Umweltministerin Anja Siegesmund sollte auf die Abteilungen für Landwirtschaft und Forsten verzichten und künftig das Restressort aus Umwelt, Naturschutz und Energie verwalten.

Dahinter standen zwei Gründe. Erstens hatten die Grünen, die bei der Landtagswahl gerade 5,7 Prozent der Zweitstimmen erreicht hatten, neben dem Umwelt- und Agrarressort auch noch auf ein um Migration und Verbraucherschutz aufgepepptes Justizministerium für Dieter Lauinger bestanden. Das hatte Linke und auch die SPD vergrätzt.

Zweitens und wichtiger: Bei Bodo Ramelow, der kurz vor davor stand, zum ersten linken Ministerpräsidenten in Deutschland gewählt zu werden, war der hiesige Bauernverband vorstellig geworden – also eine Institution, die eine Regierung im ländlichen Thüringen nicht ignorieren kann. Die bis dahin durchgehend regierende CDU hatte deshalb immer ihre Nähe gepflegt.

Die Bauern versprachen dem Linken Ramelow friedliche Koexistenz, stellten aber gleichzeitig eine Bedingung: Die Grünen dürften nicht die Zuständigkeit für die Agrarwirtschaft bekommen. Ähnlich argumentierten die Waldbesitzer mit Bezug auf die Forstabteilung.

Und so wurde, schnipp, schnapp, kurz vor dem Unterschreiben, die beiden Abteilungen vom Umweltministerium abgeschnitten und an das Infrastrukturressort der Linken Birgit Keller angepappt. Da halfen weder der Protest von Anja Siegesmund noch die Tränen von Katrin Göring-Eckardt: Ramelow setzte sich durch.

In den folgenden Jahren hatten Bauern und Forstleute in Keller eine treue Lobbyistin. Nur mit hartnäckigem Ringen schaffte Siegesmund, gegen die Amtskollegin einen Teil ihrer grünen Agenda durchzusetzen, ob nun bei den sogenannten Urwaldflächen, den Mastanlagen oder dem Windkraftausbau.

Nun, fünf Jahre später, nach der nächsten Landtagswahl, wollen die Grünen die Revanche. Bevor die Inhalte besprochen waren, stellen sie öffentlich den Anspruch auf die Landwirtschaft: Agrar- und Umweltbereich gehörten zusammen, das habe das Hickhack der vergangenen Jahre gezeigt.

Die Linke blockt bislang das Ansinnen ab und verweist kühl darauf, dass sie die Wahl gewonnen haben, derweil die Grünen Stimmenanteile verloren und beinahe aus dem Landtag flogen. Auch der Bauernverband macht laut kund, dass seine Abwehrfront stehe.

Soweit die Wiederholung des Szenarios von 2014, nur unter umgekehrten Vorzeichen. Doch etwas ist anders: Die gemeinsame parlamentarische Mehrheit fehlt, mangels Alternativen, die nicht AfD heißen, ist eine Minderheitsregierung zu basteln.

Die Folgen sind ambivalent. Auf der einen Seite wächst die Bedeutung der Ressortzuständigkeit, da ohne die Gewähr, eigene Initiativen im Landtag durchzubekommen, sich die Minister hauptsächlich noch im Verwaltungshandeln profilieren können. Auf der anderen Seite sind angesichts einer informellen blau-schwarz-gelben Mehrheit Ideologieprojekte nicht mehr durchsetzbar.

Und: Die drei Partner sind nicht mehr so sehr aufeinander angewiesen. So ist auch eine Minderheitsregierung ohne die Grünen denkbar, ob nun als linke Alleinregierung, mit der Ramelow schon prophylaktisch drohte – oder als wie auch immer geartete Projektregierung mit der CDU, von der nun sein Vorvorgänger Dieter Althaus spricht.

Das grüne Tal der Tränen ist noch nicht durchschritten.