Martin Debes über die politische Flexibilität von CDU und Grünen.

Der Mann, der für die Rotweinlinke so etwas ist wie die Mischung aus Fürst der Finsternis, Mr. Burns und Black Rocker, trug einen lindgrüngemusterten Schlips zum grünlich schimmernden Anzug und sagte: „Schwarz-Grün sitzt doch in vielen bürgerlichen Familien längst am Frühstückstisch.“

In diesem Fall saß Friedrich Merz angemessen sozial distanziert mit zwei Redakteuren vom Spiegel an einem Besprechungstisch und bemühte sich um die optimale Ausgangsposition für den Herbst 2021. Denn Kanzler, das besagt die einfache politische Arithmetik, kann er wohl nur mit den Grünen werden.

Die Rechnung geht so: Die SPD, dies scheint der kleinste gemeinsame Nenner in der Partei zu sein, wird nicht wieder als Juniorpartner zur Verfügung stehen. Trotz mieser Umfragewerte und grenzpeinlicher Doppelspitze setzt sie ihre letzte Regierungshoffnung darauf, dass dies die erste Bundestagswahl seit 1949 wird, in der sich kein Kanzler und auch keine Kanzlerin aus dem Amt heraus bewirbt. Damit, so lautet die sportliche Mutmaßung, könnte es sogar auch jemand wie Olaf Scholz an die Spitze eines Bundeskabinetts schaffen.

Jenseits solcher Utopien spricht aber viel dafür, dass die Bundestagswahl so ausgeht wie Bundestagswahlen gemeinhin ausgehen. Bei den bisherigen 19 Versuchen landete die Union 16 Mal auf dem ersten Platz. Nur dreimal gewann die SPD, und davon auch nur einmal deutlich, derweil es bei den Grünen bloß zur demoskopischen Herbstmeisterschaft reichte.

Man darf also zurzeit getrost davon ausgehen, dass die Union auch den nächsten Kanzler stellt, aber wie nahezu immer einen Partner braucht. Doch das ist ein Problem: Die SPD wird, siehe oben, dankend absagen. Die FDP ist als Mehrheitsbeschaffer zu schwach, die AfD kommt genauso wenig wie die Linke infrage.

Bleiben also die Grünen, die so etwas von bereit sind. Nach dem heftigen Flirt von 2013, dem Jamaika-Abenteuer von 2017, das am Ende nur an der eingeschnappten FDP scheiterte, und diversen Koalitionsvarianten mit der CDU auf Länderebene wollen sie nun endlich im Bund wieder an die Macht. 16 Jahre Opposition reichen.

Größere Hürden zwischen den Partnern wären nicht zu überwinden. Die Grünen sind nicht mehr eine linke, ökologisch wertvolle und pazifistisch gesinnte SPD, die eigentlich lieber opponiert als regiert. Inzwischen sieht man sich, je nachdem, als jederzeit regierungswillige Volks- oder Bündnispartei, gleichermaßen anschlussfähig an Linke, Sozialdemokraten, Konservative und Liberale. Kaum jemand steht repräsentativer für diese Flexibilität wie die einzige und ewige grüne Thüringer Bundestagsabgeordnete Katrin Göring-Eckardt.

Auf der anderen Seite hat sich die CDU unter Angela Merkel nach links geöffnet, ja öffnen müssen, um nicht ganze Wählerschichten zu verlieren – womit sie als historischen Kollateralschaden den Weg für die erste erfolgreiche Partei rechts der Union mitbereitete.

Inzwischen unterscheiden sich Schwarze und Grüne nicht mehr grundsätzlich, sondern nur noch in der Prioritätensetzung. Die Grünen können Krieg und die CDU kann Energiewende. In außenpolitischen Positionen unterscheiden sich beide bloß in Nuancen. Was sie noch trennt, sind kulturelle und identitätspolitische Fragen, die sich, wenn man so will, in der Person von Friedrich Merz konzentrieren, einem wirtschaftsliberalen Macho aus dem vorigen Jahrtausend, der seine Steuern bevorzugt auf einem Bierdeckel ausrechnet.

Aber was soll’s. Als Göring-Eckardt vor einer Weile zu einer Regierung und Merz befragt wurde, sagte sie alles Mögliche, nur nicht Nein. „Da kommt es ganz drauf an, was es für Inhalte gibt“, teilte sie mit, denn dies sei ja, genau: „immer das Entscheidende“.

Tja, so ist das bei den Grünen: Es geht ihnen immer, immer, immer nur um die Inhalte und niemals nie um Macht oder Ministerposten. Deshalb gratulierten auch die Parteivorsteher Annalena Baerbock und Robert Habeck jüngst in der FAZ besonders artig der CDU zum 75-jährigen Bestehen. „Was uns eint, ist die Vorstellung, als Parteien ein Zusammenschluss ganz unterschiedlicher Menschen und Gruppen zu sein, die miteinander die gleichen Grundwerte teilen“, schrieben sie. „So wie wir immer schon etwas wollten, seid Ihr immer schon etwas gewesen.“

Der Satz der dort nicht stand, den sich aber jeder sehr leicht hinzudenken konnte, lautete: „Und bald, im nächsten Jahr, wollen wir gemeinsam etwas sein.“