Martin Debes über die Listenkandidaten der AfD und eigene Erfahrungen im Internet.

Am 5. Juli entschied der Landeswahlausschuss in Sachsen, dass die AfD nur mit 18 ihrer 61 Listenkandidaten zur Landtagswahl am 1. September antreten dürfe. Als Grund gab das Gremium, das aus der beamteten Wahlleiterin und sechs Parteivertretern besteht, schwere Formfehler an.

In den Umfragen stand die AfD zu diesem Zeitpunkt bei 26 Prozent. Damit durfte sie mit mehr als 30 Mandaten im künftigen Landesparlament rechnen. Das Votum bedeutete, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit etliche der ihr potenziell zustehende Mandate verfielen. Einen Teil dieses möglichen Verlustes hätte die AfD wahrscheinlich über gewonnene Direktmandate ausgleichen können. Doch am Ende hätten womöglich Tausende, wenn nicht Hunderttausende Wählerstimmen nicht gezählt.

Der Landeswahlausschuss entschied ausschließlich formal, nicht inhaltlich, wie denn auch. Der Umstand, dass die AfD eine in wachsenden Teilen extremistische Partei ist, in der Funktionäre und Mitglieder mit völkischen und nationalsozialistischen Versatzstücken hantieren, gegen Ausländer hetzen und vulgäre Allmachtsfantasien pflegen, durfte keine Rolle spielen. Dies alles kann nur Thema der politischen Auseinandersetzung sein – oder eines Verfahrens vor dem Verfassungsgericht.

Was also waren die formalen Fehler der AfD, die eine derartige weitreichende Entscheidung rechtfertigen sollten? Der Ausschuss monierte, dass die AfD zwei Listen eingereicht habe, die auf zwei unterschiedlichen Listenparteitagen mit unterschiedlicher Leitung gewählt wurden. Zudem habe sie auf dem zweiten Parteitag die Abstimmungssystematik umgestellt.

Tatsächlich war die Listenwahl teils chaotisch verlaufen. Wie oft noch bei der AfD üblich, entschieden nicht Delegierte über die Liste. Stattdessen durfte jedes Mitglied, das wollte, mit abstimmen. Zudem wurde anfangs jeder Platz nach einem komplizierten Verfahren einzeln gewählt.

Der Vorgang war basisdemokratischer als bei den meisten anderen Parteien. Aber er überforderte die AfD heillos. Sie musste, weil das Wochenende herum war, die Wahlversammlung nach Platz 18 unterbrechen und Wochen später fortsetzen. Dort wählten die Mitglieder eine neue Leitung und beschlossen, ab Platz 31 die Listenplätze per Blockwahl zu vergeben.

Mindestens diese Umstellung war fahrlässig. Eine Partei, die seit 2013 existiert, hätte es besser wissen müssen. Und dennoch: Die Kandidaten wurden auf demokratische Weise bestimmt, bei der Wahl selbst gab es keine Unregelmäßigkeiten.

Deshalb war, auch angesichts der Folgen für die Akzeptanz des Wahlergebnisses und des demokratischen Prozesses, eine derart drastische Beschneidung der Liste unverhältnismäßig. Dabei geht es weniger um die AfD, die routiniert heuchelnd ihre Opferrolle einnahm. Es geht um die Wählerstimmen, die verfielen.

Soweit meine Betrachtungen in der gebotenen Ausführlichkeit, die einem Medium wie Twitter fremd ist. Dennoch hatte ich es am 7. Juli nicht lassen können, dortselbst naseweis mitzuteilen: „Die #AfD sollte an der #LtwSachsen gleichberechtigt teilnehmen dürfen. Der mögliche Schaden für das Vertrauen in die Demokratie wiegt schwerer als Formfehler. Wer nach der Wahl deswegen klagen will, soll es dann tun.“

Die Reaktion fiel massiv aus, Beleidigungen inklusive. Immerhin, die meisten der zuweilen wirkmächtigen Kommentatoren beließen es bei Belehrungen: Ich hätte nicht einmal die einfachsten Regeln des Rechtsstaats kapiert, ich würde meiner Aufgabe als Journalist nicht gerecht oder, klar, ich bereitete der AfD den Weg. Die interessante Idee, dass es genau diese Art der Debattenführung ist, die den Extremen nützt, kam eher wenigen.

Dies bedeutet nicht, dass jeder Einwand unbegründet war, zumal ich meine Meinung nicht präzise genug formuliert hatte. Doch das zentrale Argument der Mehrheit, dass die Entscheidung eines Gremiums von Beamten und Parteivertretern, die so gravierend in die freie und geheime Wahl eines Parlaments eingreift, als finales und unanfechtbares Urteil zu gelten habe, überzeugte mich nicht.

Dem sächsischen Landesverfassungsgericht erging es ähnlich. Es nahm die Beschwerde der AfD an und entschied am 25. Juli: Die Entscheidung des Wahlausschusses sei, mindestens was die Liste bis Platz 30 betreffe, „nach vorläufiger Bewertung mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig“. Aber wahrscheinlich haben die Richter das mit dem Rechtsstaat auch nicht kapiert.