Martin Debes über die Thüringer CDU.

Der Vorstand der thüringischen CDU will an diesem Dienstag den Spitzenkandidaten für die Neuwahl des Landtags nominieren. Oder auch nicht, man ziert sich arg. Keiner will die Position wirklich, nicht das neue Führungspersonal und schon gar nicht jene, die insgeheim gefragt wurden, seien es gewesene Würdenträger oder leibhaftige Verfassungsrichter.

Und so wird sich wohl der arme Mario Voigt bereit erklären müssen. Der Landtagsfraktionschef ist, im Unterschied zu Landeschef Christian Hirte, im Land aktiv und will es bleiben. Und er bringt einige der nötigen Voraussetzungen mit, Erfahrung, Intelligenz, Integrität, aber auch Intrigenfähigkeit.

Dass Voigt zu der charismatischen Führungspersönlichkeit, die Max Weber erdachte, noch einiges fehlt, ist zwar richtig. Aber wenn man die Reihe jener Menschen durchgeht, die seit 1990 die CDU in Landtagswahlen führten, ordnet sich dieses Defizit ein. Die Partei besaß nie den perfekten Kandidaten, nur Bernhard Vogel kam im Jahr 1999 ziemlich nah dran.

Begehrt war die Spitzenkandidatur trotzdem immer – und zuweilen hart umkämpft. Gegenüber der Schlacht etwa, die im Herbst 2009 geschlagen wurde, wirkt der aktuelle Streit um die Kanzlerkandidatur wie ein Kindergeburtstag.

Warum also will es diesmal niemand machen? Ganz einfach: Erstmals in der Geschichte der Thüringer CDU tritt ihr Spitzenkandidat nicht aus der Position der stärksten Partei an. Und erstmals hat er so gut wie keine Chancen auf den Regierungsvorsitz. In den Umfragen bleibt die Partei bei ihrem schlechtesten Wahlergebnis einbetoniert, derweil die Linke unter Bodo Ramelow stabil oberhalb ihres Rekordergebnisses vom Oktober 2019 steht.

Wer sich also auf Platz 1 der CDU-Liste wählen lässt, kann bestenfalls die Landespartei stabilisieren – oder sie in die nächste Niederlage führen. Man darf sich leicht ausdenken, was dann ein gewisser Mike Mohring sagte. Die Wortpaare „Verantwortung übernehmen“ und „Konsequenzen ziehen“ wären garantiert dabei.

Dies alles macht die CDU-Spitzenkandidatur für 2021 so schrecklich unattraktiv, zumal es ja in ein paar Jährchen deutlich besser für die Partei aussehen dürfte. Denn ohne den demnächst 65 Jahre alten Bodo Ramelow wird die Linke schnell auf die Größe schrumpfen, die sie in Sachsen oder Brandenburg besitzt. Hirte und Voigt sind beide Mitte 40; sie hätten, theoretisch, noch Zeit.

Aber praktisch muss halt jetzt schon irgendjemand gegen diesen Ministerpräsidenten antreten, um zumindest eine Basis für einen späteren Machtwechsel zu legen.
Ziel 1: mehr als die mickrigen 21,7 Prozent an Stimmen bekommen, auf die im Oktober 2019 die Partei abstürzte. Daran gekoppelt ist
Ziel 2, der Goldstandard unter ostdeutschen Christdemokraten: vor der AfD einlaufen. Daran schließt sich Ziel 3 an: erneut eine rot-rot-grüne Mehrheit verhindern.

Das alles ist machbar. Blieben die Liberalen unter Thomas Kemmerich (der die Spitzenkandidatur formal an seinen Generalsekretär abtreten dürfte) im Landtag, könnte die Linke wohl wieder keine Regierung bilden, ohne bei der CDU anzufragen. Auf der anderen Seite sind Gespräche zwischen Union, FDP und AfD nach dem 5. Februar 2020 völlig ausgeschlossen.

Was dann passiert, wird unter anderem daran hängen, ob der Landtag im April gewählt wird – oder doch erst im September, zusammen mit der Bundestagswahl. Wären die nationalen Wahlen bereits absolviert, könnte die hiesige CDU mit der Linken über Kooperationen oder sogar Koalitionen merklich freier verhandeln.

Doch so oder so wird es die CDU tunlichst vermeiden, Ramelow nochmals in die Staatskanzlei zu verhelfen. Der Mann würde ja sonst den Kretschmann machen und 2026 wieder antreten – und 2031, da neuerdings 78-Jährige sogar US-Präsident werden . . .

Voigt und Hirte dürften deshalb auf einen anderen, von den Linken benannten und parteilosen Regierungschef bestehen, was natürlich auf maximale Empörung stieße. Der nächste thüringische Politikkrimi wäre jedenfalls gesichert.

Ob es so kommt? Wer weiß. Wir sind ja hier nicht umsonst im fröhlichen Bundesland der Überraschungsministerpräsidenten. Und am Ende, huch, kommt er sogar doch von der CDU.