Martin Debes über ein ungewöhnliches Konstrukt.

Am Montagabend, nachdem alle Einzelpläne in Rekordgeschwindigkeit durchgepaukt waren, wurde im Landtag ein Rekordhaushalt beschlossen. Damit hatte eine Rekordzahl von vier Fraktionen pünktlich zu Weihnachten für etwas Sicherheit in unsicheren Zeiten gesorgt. Nebenher war eines der ungewöhnlichsten Experimente der jüngeren deutschen Geschichte vorläufig abgeschlossen: Die Kooperation einer linke-geführten Minderheitsregierung mit der CDU.

Das exklusive Konstrukt hatte man in jenen Februarwochen entwickelt, in denen Thomas Kemmerich in der Staatskanzlei saß und schon gar nicht mehr versuchte, die Anmutung eines Ministerpräsidenten zu erzeugen. Er war zurückgetreten und wartete nur noch darauf, dass sein Vorgänger Bodo Ramelow zu seinem Nachfolger wiedergewählt würde.

Doch wie sollte das bewerkstelligt werden? Schließlich hatte die CDU bei der Wahl Kemmerichs ja schon den Abgrenzungsbeschluss in Richtung AfD fahrlässig verletzt. Sollte sie also nun mit der Wahl Ramelows den Beschluss in Richtung Linke vorsätzlich ignorieren?

Die Ausflucht aus diesem Dilemma bot die sogenannte, in einer langen Winternacht zwischen Union und Rot-Rot-Grün geschlossene Stabilitätsvereinbarung. Sie besagte drei Dinge. Erstens würden die Beteiligten zwar eigenständig Initiativen in den Landtag einbringen, aber „die dafür erforderlichen Kompromisse nur untereinander“ suchen – also ohne AfD und FDP. Zweitens binde der Pakt „beide Seiten bis zur Verabschiedung des Haushalts 2021 im Dezember 2020”. Und drittens werde sich der Landtag selbst auflösen, um Neuwahlen am 25. April 2021 zu ermöglichen.

Elegant wirkte das Ganze nicht. Aber erstaunlicherweise funktionierte es. Zuerst, am 4. März, wurde Bodo Ramelow dank der kollektiven Enthaltung der CDU im dritten Wahlgang wieder zum Ministerpräsidenten gewählt – nur um kurz darauf alle Schulen, Restaurants und die meisten Geschäfte schließen zu müssen.

Ohne auch nur kurz Luft holen zu können, schlitterte Thüringen aus einer historischen Regierungsgroßkrise in eine historische Gesundheitskrise, zu der sich bald eine ausgewachsene Wirtschaftskrise gesellte – und dies auf einer wackligen politischen Basis, die es so nicht gegeben hatte. Aber: Diese Basis hielt, trotz der Pandemie – oder vielleicht sogar wegen ihr. Jedenfalls sorgte auch das Corona-Virus mit dafür, dass niemand auf komische Gedanken kam und versuchte, die Vereinbarung zu verletzen oder zu umgehen.

Natürlich stritten die unfreiwilligen Partner öffentlich. Intern aber redeten sie miteinander, über Hilfspakete, Gesetzesänderungen und schließlich den Haushalt, mit dem alle irgendwie leben können.

Allerdings ist der rot-schwarz-rot-grüne Feldversuch nun erst einmal vorbei, zumindest formal. Mit dem Etatbeschluss ist die Vereinbarung fast erfüllt. Jetzt muss sich der Landtag nur noch im Februar auflösen, damit er Ende April neu gewählt werden kann.

Doch ob das so geschieht? Die AfD-Fraktion stellte am Wochenende öffentlich die Frage, die auch Koalition und Union insgeheim beschäftigt: Kann ein Wahlkampf mit Nominierungsversammlungen und Parteitagen überhaupt funktionieren, wenn die Pandemie derart grassiert?

Natürlich ist für die AfD, für deren selbst bezeichneten Fraktionsführer Corona schon im September vorbei war, nicht das Virus das Hindernis, sondern das vorgeblich diktatorische Vorgehen dagegen. Aber im Ergebnis ist dies für die Antwort egal.

Strategisch ist für die Parteien Einiges zu bedenken. Ein gemeinsamer Termin mit der Bundestagswahl am 26. September dürfte vor allem den Grünen nützen und, einen zugkräftigen Kanzlerkandidaten vorausgesetzt, vielleicht auch der CDU – der bundesweit schwachen Linken jedoch weniger. So oder so könnten sich aber Union und Linke nach der Bundestagswahl gefahrloser einander annähern.

Doch was passiert im Landtag, falls der Wahlkampf erst nach den Sommerferien begänne? Der Stabilitätspakt müsste wohl verlängert werden, und sei es informell. Sonst liefe die CDU wieder in die Falle, die von der AfD gerade neu aufgestellt wurde.

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