Martin Debes über, mal wieder, Bodo Ramelow.

Zum Dasein des gemeinen Politikers gehört das flüchtige Ding namens Macht, ganz egal, ob er nun danach drängt oder ob er es nur, was oft genug nur eine süße Selbstlüge ist, als niederes Mittel zum höheren Gestaltungszweck sehen möchte.

Die Macht, das wissen alle Sternenkrieger, hat eine dunkle Seite und sie kann, das wissen wiederum alle Hobbits, ein verfluchter Schatz sein. Ist sie einmal errungen, lässt sich nur schwer von ihr lassen. Sie verändert den Menschen, der sie besitzt, und dies kaum zum Guten. Mit der Gewohnheit, über andere gebieten zu können, wächst das Gefühl der eigenen Unersetzlichkeit und Unfehlbarkeit.

Zum Beispiel die Kanzler. Obwohl Helmut Kohl seiner CDU nach 16 Jahren im Amt längst eine Last war, trat er noch einmal als Kanzler an, um krachend zu verlieren. Oder sein Nachfolger Gerhard Schröder: Er, der Alphamann aus Hannover, wollte einfach nicht begreifen, dass er das Fotofinish gegen diese komische Osttante Angela Merkel verloren hatte – die nun, fast 15 Jahre später, interessanterweise selbst den Übergang in Superzeitlupe vergurkt.

Wenn es also gar naturwissenschaftlich geschulte Pastorentöchter treffen kann, dann natürlich auch einen Emotypen wie Bodo Ramelow, der sich seit nunmehr fast zwei Wochen durch Thüringen und Twitter rumpelstilzt. Dabei ist einiges zu verstehen. Es ist zum Beispiel nachvollziehbar, dass er für eine Weile neben sich stand, nachdem ihn ein halb gewolltes, halb verunfalltes Bündnis von AfD, CDU und FDP aus dem Amt expediert hatte. Dass Ramelow seinem Nachfolger Kemmerich nicht einmal kühl die Hand gab, dass er einfach so in die Staatskanzlei verschwand, um seinen Schreibtisch auszuräumen und dass er danach für fast niemanden erreichbar war: Geschenkt. Wirklich.

Eine Weile später hätte ja das Nachdenken beginnen können, das Reflektieren. Im Nachhinein, das stimmt ja tatsächlich, ist man oft klüger und sieht womöglich klarer, was zuvor noch verschwommen wirkte, auch für notorisch naseweise Kolumnisten.

Ramelow hätte sich also Fragen stellen können. War es richtig, sich auf den frühen Wahltermin ohne Mehrheit festzulegen? War es klug, einen sogenannten Koalitionsvertrag einen Tag vor diesem Wahltermin öffentlichkeitswirksam zu unterzeichnen? Und war es hilfreich, dass seine Parteivorsitzende die CDU und deren Landeschef vor der Wahl in einer Weise beschimpfte, als sei man nicht auf ihre Stimmen angewiesen?

Wahrscheinlich hat sich der Vielleicht-Bald-Wieder-Ministerpräsident dieses und anderes ja sogar gefragt. Doch seine öffentlichen Auftritte hinterließen nicht den Anschein, dass er darauf ehrliche Antworten gefunden hätte.

Die Interviews, die er gab, zeigten einerseits, warum Ramelow so populär ist: Er präsentierte sich offen, verletzlich, menschlich. Und er verwies mit allem Recht auf die fatalen Fehler von CDU und FDP – und die Perfidie der AfD.

Auf der anderen Seite präsentierte er sich aber auch als selbstgerechter Verlierer, der alles richtig gemacht haben wollte. Nur die anderen trugen Schuld, und sie waren nicht nur dumm und dreist, nein: Sie mussten sich mit den Faschisten verschworen haben!

Um seinen Gemütszustand zu beschreiben, war Ramelow kein Vergleich unangemessen genug. Buchenwald, Auschwitz und die Morde am Erfurt Gutenberg-Gymnasium: Auch er, Bodo Ramelow, war nun ein Opfer. Und wehe, irgendeine Moderatorin erdreistete sich, ihm zu widersprechen.

Das Erstaunlichste daran: Fünf Jahre hatte er als Ministerpräsident gearbeitet, ohne sich durch das Amt vereinnahmen zu lassen, ohne abgehoben zu wirken oder gar arrogant. Im Gegenteil, er reifte in der Position. Wenn er, wie es seinem Wesen entspricht, mal wieder ausflippte, und ja, dabei auch seine Macht ausspielte, bekam er sich rasch wieder ein. Am Ende machten ihn diese Eigenarten sogar noch authentischer, populärer.

Doch ab dem Moment seiner Abwahl begann er sein nunmehr verlorenes Amt zu überhöhen – und sich gleich mit. Dabei ist die Situation, in der sich das Land befindet, wahrlich prekär genug, als dass man sie noch zur Staatskrise hochjazzen muss.

Falls Bodo Ramelow demnächst wieder Ministerpräsident ist, was sich in Anbetracht der Umstände selbst CDU und FDP wünschen sollten, wäre es schön, dass er spätestens dann seine Grundsouveränität zurückerlangt hat. Gekränkte Männer gibt es schon genug.