Henryk Goldberg über die Frage, wie subjektiv ein Richter urteilen darf

Der Richter hat Recht gesprochen – aber hat er auch recht? Ist er im Recht?

Friedrich Schiller hat in seinem „Wallenstein“, ungewollt, definiert, was einen wesentlichen Teil des Richteramtes ausmacht. Ein Unterhändler, von dem Feldherrn um seine Meinung gebeten, erwidert diesem kühl: „Ich hab hier bloß ein Amt und keine Meinung.“

Das ist es. Ein Richter hat ein Amt und dieses besteht darin, Recht zu sprechen, mit keiner anderen Maßgabe als dem Gesetz. Gesetze sind so etwas wie die verbindlich formulierte Moral einer Gesellschaft – und nur dieser ist der Richter verpflichtet, nur dieser Gesetz gewordenen gesellschaftlichen Moral, nicht seiner individuellen Haltung dazu. Denn in diesem Amt ist seine Meinung, seine persönliche Meinung, über, sagen wir: Maskenpflicht und Abstandsregeln und Corona-Tests, unerheblich – oder sollte es doch wenigstens sein.

Es ist vermutlich eine der Schwierigkeiten dieses Berufes, die eigene Meinung gelegentlich auszubalancieren mit dem geschriebenen Recht. Im Falle eines Vergewaltigers, im Falle eine Betrügers oder Mörders wird das kaum ein Problem sein. Aber im Falle einer Mutter, die ihre beiden Kinder befreit sehen möchte von der Pflicht zur Maske, zum Test, zum Abstand?

Genau dieses Urteil, das juristisch nur ein Beschluss ist, hat in dieser Woche Thüringen wieder einmal in die bundesweiten Nachrichten gebracht. Der Weimarer Familienrichter entschied, dass die Schulen, die von den beiden Kindern der Klägerin besucht werden, weder diesen noch den übrigen Schülern das Tragen von Masken, das Einhalten von Abständen sowie das Absolvieren von Tests verpflichtend vorschreiben dürfen. Denn dadurch, so der Richter, würden die Schüler „physisch, psychisch und pädagogisch geschädigt“. Die juristischen Implikationen dieser Entscheidung – war der Familienrichter überhaupt berechtigt, über eine Allgemeinverfügung zu urteilen, durfte er diese Entscheidung für mehr als die beiden Schüler treffen? – diese Fragen sind qualifiziert eigentlich nur von Juristen zu diskutieren. Ich zum Beispiel hab hier bloß eine Meinung, und kein Amt, das mich zur juristischen Bewertung befähigte.

Die „Neue Richtervereinigung“ allerdings hält diese Entscheidung mit juristischen Gründen für „unhaltbar“. Das wird man sehen, wenn höhere Instanzen angerufen werden, wenn über die Beschwerde des Landes beraten wird, denn, wiederum mit Schiller, „Nicht Stimmenmehrheit ist des Rechtes Probe“, das Recht ist ein so hohes Gut wie die Unabhängigkeit derer, die damit betraut sind. Der Umstand, dass dieser Richter von der vertretenden Anwältin zielgerichtet ausgesucht wurde, wie in dieser Zeitung am Mittwoch sachlich erklärt wurde, ist zwar „tricky“, aber so wenig eine Rechtsbeugung, wie wohl auch die Entscheidung des Richters. Aber der Umstand verweist doch auf das Problem. Es ist die Frage, ob und inwiefern der Richter nicht, oder doch nicht nur, das Gesetz zur Richtschnur seiner Entscheidung machte, sondern: seine Meinung, seine persönliche politische Agenda. Kurz, seine persönliche politische Haltung zu all den Corona-Maßnahmen. Gegenüber BILD bekannte der Richter, er habe „erhebliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Masken“. Dem entspricht, dass er, wie es heißt, vor jeder Verhandlung das Tragen von Masken im Gerichtssaal untersagt haben soll. Natürlich, ein Richter ist nur dem Gesetz unterworfen und seinem Gewissen verpflichtet. Und deshalb kann er, zum Beispiel, entscheiden, welche Gutachter er heranzieht. In diesem Falle waren es drei – und alle drei sind bekannt für ihre polemisch-ablehnenden Haltungen, sie haben dann auch die erwarteten Gutachten geliefert. Gutachten, die konträr zur weltweiten Mehrheitsmeinung der Wissenschaftler stehen.

Die Minderheitsmeinung ist nicht zwingend falsch, aber es ist immerhin eine Frage, ob Maßnahmen, die es im Übrigen in Nuancen weltweit gibt und die auf der Mehrheitsmeinung der wissenschaftlichen Gemeinschaft basieren, durch ein Minderheitsvotum suspendiert werden sollten. Das ist juristisch umstritten.

Unstrittig ist, für mich, dass hier ein Richter seine Meinung mit seinem Amt verwob.