Henryk Goldberg erinnert sich an Peter Sodann, der 85 wurde.

Ihr Arschgeigen!“, brüllte der Mann auf der Bühne, und der Satz stand nicht im Text. Der Mann war gerade dabei, als „Ein Yankee an König Artus’ Hof“ zu sterben, und einer der jungen Theaterfreunde im Parkett hatte ihm ein launiges Wort zugerufen. Der Mann war ein junger Schauspieler in einem Ensemble, das damals unter der Leitung von Dieter Wardetzy als eines der interessanteren in der DDR galt. 1967, Städtische Bühnen Erfurt, Schauspielhaus. Dass Peter Sodann später, was nun auch schon lang ein Damals ist, auch in Kyritz an der Knatter und Rothenburg ob der Tauber ein populärer Mann wurde, verdankt er dem Fernsehen, das windkanalgetesteten Schönmenschen zu einem Bekanntheitsgrad verhilft, von dem erstklassige Theaterschauspieler häufig nicht einmal träumen dürfen. Bei Peter Sodann war es anders, für ihn schuf das Fernsehen eine Art von ausgleichender Gerechtigkeit.

Dabei, dieser Kommissar Ehrlicher vom Tatort Ost fand Sodann keineswegs am Limit seiner künstlerischen Möglichkeiten. Dafür aber steht diese Figur für die Persönlichkeit des Mannes. Ein wenig rustikal, ein wenig einfach, ein wenig wie der kleine Mann von der Ost-Straße. Und wer daraus falsche Schlüsse zog, etwa im Umgang mit dem Hallenser Intendanten, der hatte ganz, ganz schlechte Karten. Peter Sodann konnte, und kann es wohl noch immer, ein harter Hund sein – oder ein zugeneigter Förderer.

Eine Theaterkantine ist ein wunderbarer Ort für einen jungen Burschen, der früh nicht gern aufsteht und abends gern neben Leuten sitzt, für deren Beruf eine leicht irrationale Gemütsart Voraussetzung ist und die ihm die Illusion erlauben, er gehöre irgendwie dazu. Es ist aber auch ein gefährlicher Ort, und der Freund jener Jahre ist in ihm gescheitert. Denn wenn so ein Bursche zwanzig Jahre da unten sitzt und sich immer noch an den imagebildenden Maßnahmen „Karo“ und „Weltbühne“ erfreuen muss, dann ist das ein Ort der verwehten Träume, die machen Sodbrennen und Psychopathen. Dass mir diese Art von Sodbrennen erspart blieb, verdanke ich auch Peter Sodann.

In der Erfurter Kantine, dem Club, hatte ich manche schöne Nacht erlebt, viel Bier und viel Gedöns. Doch irgendwann hat er mir eine solche Nacht versaut. Ein junger Schauspieler, der die großen Rollen spielte und der einzige Künstler, der das Theater vom Schnürboden bis zum Heizungskeller kannte.

Dieses Gequatsche, sagte er, sei ja nun sehr schön, und Spaß mache es auch. Aber es sei doch so: Morgen Abend stehe er wieder als Schauspieler auf der Bühne. „Und du stellst mir die Kulissen hin.“ Und wenn ich so weitermachte, dann bliebe das so, für immer. Und irgendwann wäre das nicht mehr so chic wie heute.

Ich will nicht sagen, dass es allein diese Nacht war, die mein Leben damals verändert hat. Aber sie war es auch, und ich habe es ihm nie vergessen.

Deshalb hat mich die spätere Karriere von Peter Sodann immer besonders gefreut, dem Theatererzwinger in Halle. Und dann die Bibliothek der im deutschen Osten von 1945 bis 1990 erschienenen Literatur, für die er einige Unruhe in den Flecken Staucha brachte. Eine Art Museum der DDR-Literatur, aber auch eines des Bürgerwillens, der Bürgerkraft. Ein Museum der Beharrlichkeit. Der Beharrlichkeit eines trotzigen Mannes, der immer wieder betont, er lasse sich sein Leben in der DDR nicht wegnehmen, obgleich Stasi und Gefängnis Teil dieses Lebens waren, auch für ihn. Und ein Museum für all jene, die mit Beharrlichkeit darauf bestehen, auch vor dem 3. Oktober 1990 gelebt zu haben.

Wenn er sich nicht mehr querlegen kann, dann legt er sich wohl hin. Sodann ist in seiner Betrachtung der Welt von sozusagen schlichter Geradlinigkeit Differenzierung seine Sache nicht, der Trompete näher als der Flöte. Das zeigte sich auch, als er 2009 für das Amt des Bundespräsidenten kandierte. Er hatte, was gut war, nie eine Chance, es zu werden, auch diese Kandidatur veränderte den Mann nicht.

„Die Arschgeigen nehme ich zurück“, sagte der Schauspieler nach der Vorstellung, die ungestört zu Ende ging.

Indessen, es darf als sicher gelten, dass auch dem seit dieser Woche 85-Jährigen derlei Text noch immer geläufig ist.