Henryk Goldberg über den Zusammenhang von Daten- und Menschenschutz.

Kann ja sein, es herrschte Ruhe im Land. Kein Mensch sprach mehr über die Landtagswahl, zwei Tage lang hatte Thüringen keinen Aufreger mehr geliefert. Vielleicht hat er auch gedacht, Lehrer seien ja zum großen Teil Beamte und hätten wohl auf diese Weise gegen den Ruf verstoßen, in dem sie stehen. Und da, dachte der Thüringer Datenschützer Lutz Hasse vielleicht, da muss man was machen. Aber wahrscheinlicher ist, dass er sich gar nichts dachte.

Er hätte ja, als er von dieser Zeitung nach dem Datenschutz in den Zeiten der Krise befragt wurde, ungefähr so sprechen können: So und so, Datenschutz ist ein hohes Gut, das zu sichern meine Aufgabe ist (zustimmendes Nicken), jedoch verstünde er auch, dass dies eine komplizierte Situation ohne Erfahrungswerte ist (Applaus) und werde deshalb sorgfältig prüfen und gegebenen Falles das Gespräch mit betroffenen Schulen und Lehrern suchen, unter Berücksichtigung der besonderen Situation und weiter, verständnisvoller Auslegung seines Ermessensspielraumes (heftiger Applaus).

Er aber sprach so: Möglicherweise sei er auf dem Weg zu Bußgeldverfahren, deren Höhe liege zwischen 100 und 1000 Euro.

Nun, dachte ich irritiert, der Mann ist halt ein Verwalter, der hat das Verhältnis seiner Vorschriften zur aktuellen Wirklichkeit nicht so recht überblickt, nach zwei, drei Tagen wird er es verstanden haben.

Er hat es nicht verstanden. Der Kollege Elmar Otto veröffentlichte am Mittwoch ein ziemlich großes, ziemlich gutes und ziemlich entlarvendes Interview mit Lutz Hasse. Und selten habe ich ein derartiges Dokument legalistischer Ignoranz gelesen, ein solches Testat unvorhandener Sensibilität gegenüber einer gesellschaftlichen Situation, eine solche Bekundung behördlicher Kaltschnäuzigkeit. Und das hat nichts, absolut nichts mit der geltenden Rechtslage zu tun. Denn die gibt ihm einen Ermessensspielraum und, das vor allem, sie zwingt ihn nicht, sich derart trompetend auf den Markt zu stellen.

Er versteht es einfach nicht. „Der Sturm der Entrüstung zeigt mir, dass ich einen Nerv getroffen habe.“

Ja, das hat er wohl wirklich. Er ist den Leuten auf die Nerven gegangen. Den Lehrern vor allem, die einen schweren Job haben und machen, die gleichsam gejagt wurden von sich mehrfach ändernden Regelungen, die häufig auf eine Weise verunklarten, dass sich Schulen und Lehrer allein gelassen fühlten. Was übrigens, wenn am Montag der Regelunterricht beginnen wird, zu Teilen wieder so sein wird. Manche Lehrer haben da halt einfach gewartet, mal sehen was passiert, und andere haben etwas getan für Schüler, was bislang zwar theoretisch gewünscht, aber praktisch kaum geübt wurde. Irgendwie sollte es weiter gehen, da muss man irgendwas improvisieren.

Und wer wird belohnt? Genau, die die nichts taten. Die anderen, so hieß es, könnten mit einer Belohnung bis zu 1000 Euro rechnen. Zahlbar als Bußgeld.

Da kommt Freude auf, da krempeln sie in den Kollegien die Ärmel hoch und gehen frisch & fröhlich ans Werk.

Und, ganz am Rande, wenn, sagen wir, zwei, drei Daten gehackt worden wären: Es wären nicht Nacktfotos oder Bankdaten gewesen, es wäre, dass Anna, vielleicht, eine Vier in Mathe bekam und Thomas, vielleicht, den Hinweis, er könne die Seite mit den Aufgaben doch wenigstens einmal öffnen. Und?

Und auf die Frage, ob er sich nach der Protestflut „ …nicht gefragt (habe), ob Sie nicht doch mit Kanonen auf Spatzen schießen?“, ob ihn nicht doch Zweifel gekommen seien, da ging die Antwort so: „Nein, warum?“

Ja, warum? Nur weil er in einer so bislang nicht gekannten, erfahrungslosen Krisensituation auftritt wie einer, dem die ohnehin angespannte Stimmung im Lande vollkommen gleichgültig ist? Nur weil ihm zugemutet wird, ein wenig Verantwortung zu übernehmen? Nur weil manche Leute denken, eine Behörde müsse auch etwas vom wirklichen Leben wirklicher Menschen wissen?

Wenn ich eine sinnbildliche Entsprechung für diese Ignoranz wählen sollte, es wäre die preußische Pickelhaube. Und das Wort dazu ist von Richard Wagner: „Deutsch sein, heißt eine Sache um ihrer selbst willen tun.“

„Da hört der Spaß auf“, sagte Lutz Hasse. Und da hat er recht.