Henryk Goldberg über die Ambivalenz des schönen Schnees.

Früher, da bekam ich immer schlechte Laune, wenn es soweit war. Weil ich den Schnee, wenn er gefallen war, wegschaufeln musste. Da waren acht Reihenhäuschen und in einem davon wohnte ich. Die sieben anderen waren ordentlich auf eine Weise, die mir mental nicht zugänglich ist. Nicht so, dass der Weg und unsere kleine Privatstraße einfach frei waren, nein, die Kanten, die Ränder waren wie mit dem Buttermesser geschnitten, glatt und, klar, im rechten Winkel. Ich habe meinen Teil der Straße stets so verlässlich wie mürrisch gesäubert von der sog. weißen Pracht, allerdings mit einem Schneeschieber, der es nicht so hatte mit den rechten Winkeln. Ich dachte mir, das sei kein Wettbewerb um die schönste Kante, was zu gelegentlichen Diskussionen führte, innerhalb des Hauses.

Aber nun bin ich glücklicher Mitbewohner einer Wohnung, da gibt es einen Hausmeister, und da hier außerdem direkt vor den Häusern grad die Gräben für das schnelle Internet gegraben werden ist Schneeschippen, (schon das Wort hat etwas Merkwürdiges, wenn es so geschrieben steht), wohl für den Hausmeister und
alle Bewohner kein Thema. Für fast alle.

Ich genoss, als es anfing, den seltenen Anblick, wenn auch der Ausblick durch die meist schrägen Fenster, wir wohnen unterm Dach, beeinträchtigt war. Die Wohnung war bei Tage bisschen düster, aber nicht bedrohlich. Zumal der Blick zur Terrasse durch eine ziemlich breite Front geraden Glases unverstellt ist. Und unverstellt ist auch die Fläche draußen, unverbaut nach oben, alle Kraft dem Himmel. Wie gesagt, ganz oben. Sehr schön, sehr poetisch. Das kleine Tischchen, das da den Winter über steht, ist jetzt verborgen unter einem Hügel Weiß, diese weiße Erhebung dort ist der Bambus, was man nur weiß, wenn man es weiß. Und statt der grauen Steinplatten auf dem Boden ein sich über die gesamte Fläche sanft wölbender Entwurf zweckfreier Schönheit, reines, unberührtes Weiß, solch einen Anblick bieten manche Wolken, wenn man auf sie herabschauen kann. Wunderschön.

Und dann bewahrheitet sich der Satz, es bleibe nichts Gutes ungestraft. Vor einigen Jahren nun schon habe ich der Dame ein Tablet geschenkt. Nicht, dass sie als emanzipierte Frau derlei nicht hätte selbst erwerben können, aber sie hätte womöglich gar nicht gewusst, hüstel, hüstel, dass es so kleine praktische Dinger überhaupt gibt. Seitdem drückt sie den Kasten inniglich an sich im Schlafgemach, nachdem wir uns zur guten Nacht gedrückt haben. So und jetzt, im Angesicht der weißen, Stoff gewordenen Poesie, da liest sie mir irgend so einen prosaischen Quark aus dem Netz vor. Er handelt ungefähr davon, dass Schnee auf dem Balkon an sich kein Problem sei, (siehste, wieso auch), nur die Höhe von 10 Zentimetern sollte er im Allgemeinen nicht überschreiten (häh?). Ich hole, nur mal so, interessehalber, den Zollstock. Es sind 45 Zentimeter.

Er schwieg lang und Düsternis umwölkte sein Haupt.

Dann ging ich in die Kaufhalle und erwarb zwei Packungen Schwerlastsäcke. Es hat ungefähr zwei Stunden gedauert. Mit der einen Hand Sack aufhalten, mit der anderen Schnee rein schaufeln, dann der nächste.

Dann beide, sehr, sehr vorsichtig, sonst gibt’s Genörgel, durch die Wohnung ins Bad befördern und in der dort befindlichen Wanne entleeren.

Dann kommt der gute Teil, zusehen, wie der Wasserstrahl sich in den weißen Scheiß hineinfrisst, wie der weiße Mist zuschanden wird und mit reichem vollem Schwalle zu dem Bade sich ergieße. (Da ich nicht promoviert werden will, kann ich zugeben, einen Teil dieses Satzes irgendwo abgeschrieben zu haben). Und so weiter und so fort, bis das fast alles fort ist. Jetzt sollte die Schneehöhe auf unserem Balkon wohl bei etwa
10 Zentimetern liegen.

Und weil das alles so schön ist draußen, gehen wir nach des Tages Mühe noch ein wenig raus. In unserer Gegend gibt es einen Fußgängertunnel, um die Stauffenbergallee zu unterqueren. Bei diesem Wetter sind die Stufen natürlich eingeebnet vom Schnee.

Ich halte mich am Geländer fest und rutsche ein wenig. Eine junge Frau, sie hat uns gerade überholt, dreht sich um und fragt freundlich „Geht es?“

Wird Zeit, dass der Frühling kommt.