Henryk Goldberg über Sigmund Jähn, Josef Neckermann und den Unterschied.

Die größte, nicht die schönste, Straße in Erfurt heißt Juri-Gagarin-Ring. Es gibt ein Denkmal, das an den Russen erinnert und die Fassade eines Hauses zeigt sein Porträt. Juri Gagarin war der erste Mensch im Weltall, er war Oberst der sowjetischen Streitkräfte und Mitglied der KPdSU.

Und?

Und in Halle hatten sie ein Planetarium, das trug seit 1978 den Namen Sigmund Jähn. Durch das Hochwasser von 2013 wurde es schwer beschädigt, später abgerissen. Nun bauen sie ein neues, es soll zum Ende des Jahres fertig werden. Und soll, so hat es der Stadtrat dort in dieser Woche entschieden, nicht mehr den alten Namen tragen. Sigmund Jähn war der erste Deutsche im All, er war Generalmajor der NVA und Mitglied der SED.

In der Hall of Fame des deutschen Sports werden Persönlichkeiten geehrt, die sich außerordentliche Verdienste erworben haben.

Unter den Geehrten befindet sich auch, rechtens, der Sportfunktionär Willy Daume, der sich vergebens gegen den Olympiaboykott 1980 aussprach und in seinen Funktionen Wesentliches für den deutschen Sport (West) leistete. Willy Daume war ab 1943 Informant des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS und seit 1937 Mitglied des NSDAP.

Auch Josef Neckermann wurde aufgenommen in die Hall of Fame, auch er zu Recht. Neckermann gewann als Dressurreiter insgesamt sechs olympische Medaillen, er war Welt- und Europameister, und verdienstvoller Gründer der Stiftung Deutsche Sporthilfe. Auch er leistete Wesentliches für den deutschen Sport (West). Josef Neckermann profitierte mehrfach aktiv von der zwangsweisen „Arisierung“ jüdischer Unternehmen. Er trat 1933 der Reiterstaffel der SA bei und 1937 der NSDAP.

Gustav-Adolf Schur war zweifacher Weltmeister der Radamateure, er gewann zweimal die Friedensfahrt und wurde 1960 auf dem Sachsenring, als er die Chance zum Hat-Trick ausschlug und so Bernhard Eckstein den Sieg ermöglichte, zum Symbol selbstlosen Team-Geistes. Schur, der in dieser Woche seinen 90. Geburtstag beging, wurde zweimal, 2011 und 2017, die Aufnahme in die Hall of Fame verwehrt. Gustav-Adolf Schur wurde 1989 in einer unmanipulierten Umfrage zum populärsten DDR-Sportler aller Zeiten gewählt, er war Mitglied der SED und der Volkskammer.

Immer noch hoch emotionalisierte Ost-West-Debatte

Und? Und deshalb, auch deshalb, muss man sich nicht wundern, wenn dieses wunderbare Geschenk der Einheit, dieser Glücksfall unserer Geschichte, immer noch belastet ist von dieser hoch emotionalisierten Ost-West-Debatte. Man muss sich nicht wundern, wenn nicht nur Betonköpfe, die die Mauer vermissen und Dogmatiker, die die „Partei neuen Typus“ noch immer für den Wegbereiter in die lichte Zukunft halten, wenn also nicht nur solche Leute dieser Gesellschaft mitunter etwas mürrisch begegnen. Denn es fühlen sich auch andere, ganz normale Leute mit betroffen von dem Gefühl, mit dem gescheiterten Staat sei auch ihr Leben gescheitert. Ob und inwieweit das so ist, dass muss ein jeder mit sich selbst ausmachen, das kann niemand dekretieren, das ist eine individuelle Entscheidung, mit der sich ein Individuum seiner Biografie stellt.

Aber diese Gesellschaft sollte denen, die, gewollt oder nicht, aus dem Osten in den Westen kamen, signalisieren, dass ihr Leben, ihre Lebensleistung respektiert wird. Und dazu gehört auch der Respekt gegenüber herausragenden Persönlichkeiten, die gleichsam beglaubigen, dass in dieser DDR tatsächlich nicht alles schlecht war. Sigmund Jähn und „Täve“ Schur sind zwei Menschen, die sich nicht wegen sondern trotz ihrer Funktion als gleichsam Marketinginstrumente der DDR bei deren Bewohnern Sympathie und Respekt erwarben. Als ihre großen Taten Geschichte waren und ihr kleines Land auch, als jeder jede Meinung brüllen konnte, da blieben sie gut gelitten. Ihre Taten standen noch immer in Geltung und mehr noch wohl ihre Art. Sie waren beide, was das Land gern gewesen wäre: Hoch kompetent, hoch leistungsfähig – und dabei zurückhaltend sympathisch. The Hero next door. Man kann, man soll so etwas respektieren, auch wenn die Zeiten, die Werte sich wandeln. Bei Neckermann ging es ja auch, und der hatte jüdischen Besitz „arisiert“. Aber der ritt schließlich für Deutschland.