Henryk Goldberg über den Zusammenhang von Schnee, Feinmotorik und Bällen

So kann man sich täuschen, so kann man enttäuscht werden. Der auch sonst sehr angenehme Sportfreund T., so dachte ich in diesen schneereichen Wintertagen, sei ein wenig wie ich, weil auch er, anders als die anderen, nicht vom Rad auf die Skier umstieg.

Bei mir ist der Grund ganz einfach. Meine Feinmotorik entspricht ungefähr und ungelogen der einer hochschwangeren Leistungskuh (obgleich ich mich im Übrigen trotz dieses Vergleiches nach wie vor als bipolar empfindenden Cis-Mann betrachte). Und dann hörte ich, etwas überrascht, der Sportfreund T. sei Träger der Goldenen Tanznadel. Okay, auch ich habe einmal eine Welttanznadel getragen. Es war die der jungen Dame L., sie hatte mir die verantwortungsvolle Aufgabe übertragen, sie, die Nadel, vom Abschlussball nach Hause zu tragen, mit der Heimführung der jungen Dame waren dann wohl andere befasst, aber das ist eine andere Geschichte. Und dann entdeckte ich den Sportfreund T. zusammen mit den anderen Jungs, mit glücklichen Skiern auf fröhlichem Schnee. Okay, diese Jungs sind wohl doch mehr Freunde fürs schöne Wetter.

Auch Ester Ambrosino kann ich gut leiden, obgleich ich sie nicht persönlich kenne. Aber die Arbeiten der Chefin des Erfurter Tanztheaters haben schon was, zumal mir Tanztheater aus der Provinz näher liegt als „Schwanensee“ mit der dritten Tingel-Garnitur des Bolschoi, was gelegentlich eines Besuches in Moskau Debatten stiftete zwischen der Dame, unseren Töchtern und mir, am Ende, klar 3:1, ging ich respektvoll seufzend mit. Auch jetzt seufzte ich, allerdings eher resigniert als respektvoll, als Ester Ambrosino der Zeitung diesen Satz sagte, dessen Fehlerhaftigkeit ich schon tief verinnerlicht hatte, ehe ich ihn kannte:
„Alle, wirklich alle können tanzen.“ Mit allem, wirklich allem Respekt, liebe Frau Ambrosino: Das ist ein Unsinn.

Anderen Falles ich damals in der Tanzstunde, grauenvolle Erinnerung, mehr Erfolg gehabt und weniger Peinlichkeit empfunden hätte. Anderen Falles, Jahrzehnte später, beim Abschlussball der jungen Dame, die Polonaise der Eltern, bei der unter Anwendung einer bestimmten und sich mir sehr komplex darstellenden Schrittfolge die Nachbarin gewechselt werden sollte, mich nicht so an den Rand des Nervenzusammenbruches getrieben hätte. (Und nur meine rettende Dame weiß, wie unübertrieben
das ist).

Anderen Falles der jährliche Chanukka-Ball, bei dem unsereiner gesellschaftspolitisch korrekt, okay, die Wortwahl ist jetzt nicht ganz koscher, die, nun ja: Sau rauslassen darf, anderen Falles also wäre dieser Ball also nicht eine solche Herausforderung. Und hätte ich jene Schule besucht, von der es heißt, sie lernten dort ihren Namen zu tanzen statt zu schreiben – ich wäre wohl noch immer eine Art Analphabet.

Natürlich, jeder Mensch, sofern er keinen körperlichen Einschränkungen unterliegt, kann sich irgendwie bewegen zu Musik, aber nicht jeder, das ist der Punkt, kann sich wohlfühlen dabei und damit.

Es liegt nicht an der jeweiligen Musik, mit meinen inneren Beinen kann ich tanzen, bis die Hütte brennt, so wie ich mit meiner inneren Stimme, die der Menschheit verborgen bleiben muss, Joe Cocker und Mike Oldfield glatt an die Wand singe. (Malen und Zeichnen indessen kann ich mit meiner inneren Hand nicht, weil ich wohl Musik und Rhythmus empfinde, nicht aber Farbe und Form.)

Es liegt, tatsächlich, an der Feinmotorik. Vor gefühlt 100 Jahren habe ich mich mal, einer Frau wegen, mit Skiern in den Wald getraut. Ihr kleiner Sohn, der ohne mein Zutun ein relativ bekannter Schauspieler wurde, freute sich jedes Mal herzlich, wenn ich in den Schnee fiel, und ich baute darauf, dass hier der gute Wille anerkannt würde – auf die Dauer wurde er das eher nicht. Was auf die Dauer als gut gelten muss.

Nicht ohne eine gewisse Freude las ich jüngst hier auf dieser Seite, dass der geschätzte Kollege Dr. Q. letzthin auch den Schnee vermaß, aber der muss ja wohl auch nicht mehr um die Anerkennung seiner Dame kämpfen, wenigstens nicht im Schnee.

Oder, wie der sehr coole Falco einst sang, „Den Schnee, auf dem wir alle talwärts fahren/Kennt heute jedes Kind“.

Und der, das weiß jedes Kind, der ist nicht aus Schnee. Der ist aus Dummheit.