Henryk Goldberg erklärt, warum der Berliner Flughafen 14 Jahre brauchte.

Also, bisschen enttäuscht bin ich schon. Ich meine, von meinem Land, meinem Deutschland. Die Ministerpräsidenten, die Minister, die Bürgermeister, die Landräte. Und auch die als Volksvertreter maskierten Gauner, die mit den Masken den einen oder anderen Hunderttausend-Euro-Scheck verdienten. Die halten es alle wie die Dachdecker, also wie sie wollen. Und wie die Dachdecker es halten, davon versteh ich was. Wenigstens die zwei, die bei uns hier in der Wohnung tätig waren.

Nicht, dass es hier unterm Dach rein regnen würde, das nicht. Aber manchmal regnet es halt und dann fällt das Wasser auf den unbedachten Balkon. Und damit der dann nicht zum Pool wird, der einen Teil seines Wassers irgendwann an das Wohnzimmer und die darunter liegende Wohnung abgibt, hat sich deutsche Ingenieurskunst da etwas ausgedacht, das wie alle großen Erfindungen so einfach wie genial ist. Nämlich, die schiefe Ebene. Denn, wie schon Bertolt Brecht wusste, „Der Regen fließt eben herunter/Und fließt eben nicht hinauf“.

Allerdings erweist sich in einer Zeit, in der viele Menschen sich schon nicht mehr an den Mondflug erinnern können, in der wir Töne vom Mars hören und in der einige Gesundheitsämter sogar schon über die innovative Fax-Technologie verfügen, in einer solchen Zeit also erweist sich die Konstruktion einer schiefen Ebene komplizierter, als unsereiner in seiner Naivität so dachte.

Für diesen hochkomplexen Prozess sind die Dachdecker zuständig. Der erste, als unsere Wohnung unters Dach gebaut wurde, der entwarf und realisierte eine erstklassige schiefe Ebene, nichts dagegen zu sagen. Sie hatte allerdings den kleinen Nachteil, dass sie sich in die falsche Richtung neigte.

Hätte die Aufgabe darin bestanden, uns einen soliden Wasservorrat für schlechte Zeiten anzulegen, es gälte eine erstklassige Lösung zu loben. Nachdem Recherchen ergaben, es werde wohl zu unseren Lebzeiten hier in der Gegend für ausreichend Wasser gesorgt sein und man werde es überwiegend aus der Leitung beziehen können, da konsultierten wir den Bauträger. Man redete hin, man redete her und kaum waren zwei Jahre vergangen, schon stand ein neuer Dachdecker auf der Matte bzw. dem Balkon.

Er riss den alten Belag ab, wiegte den Kopf, gebrauchte den Zollstock, murmelte in sich hinein und sprach dann so: Mmh.

In diesem Augenblick begann ich zu ahnen, dass das Problem der schiefen Ebene nicht in dem, Berichten zufolge, beträchtlichen Alkoholkonsum des ersten Zunftgenossen lag. Ich vermute, auf dem Gelände des Berliner Flughafens existieren mehrere schiefe Ebenen, insofern muss die Bauzeit von 14 Jahren wohl als ordentlicher Wert gelten. Und dass die Chinesen, um Zeit und Geld zu sparen und aus Gründen der Propaganda, wohl auf schiefe Ebenen verzichtet haben und den nach Passagieren zweitgrößten Flughafen der Welt in vier Jahren hochzogen, das ist einer dieser typischen Tricks.

Okay, nach einigen Wochen kam unser Dachdecker, sympathischer Mann, anders als der erste, da kam er also wieder, baute, handwerkelte und zeigte uns das Ergebnis. Ich nahm, nur so zum Spaß, die kleine Wasserwaage, die hatte uns mal jemand mit Sinn für Ironie geschenkt. Ich legte sie hier auf den Boden, ich legte sie da auf den Boden und kam zu folgendem Ergebnis: Das Wasser würde mal hierhin fließen und mal dahin, aber nie vollumfänglich dorthin, zum Abfluss.

Nun ja, sagte der Dachdecker etwas verlegen, nun ja sagte ich etwas hilflos. Am Ende haben der Dachdecker und der Bauträger unterschrieben, wasserdicht sozusagen, dass das alles sicher sei, und wenn nicht, kämen sie auf. Und wenn in fünfzig Jahren die nachfolgenden Bewohner sich wundern, weshalb der Boden unter ihren Füßen so bröselig wird: Leute, lest die Zeitung von damals! Kann ja sein, ihr habt nach dem ersten Marsflug auch das Problem der schiefen Ebene gelöst. Und lest mal den alten Brecht über die Mühe der Ebenen.

Apropos Brecht, der würde heute wohl wegen frauenfeindlichem Schweinskram in den Karzer der öffentlichen Meinung gesteckt. Falls Sie, auch wegen Karzer-Angst, überlegen, ob Sie nun gendern sollen oder nicht: Das können Sie halten wie eine Dachdeckerin.