Henryk Goldberg über die bewundernswerte Geistesgegenwart ehemaliger Kollegen

Also, ich bin auch dagegen. Ich meine, dass alle ins Homeoffice müssen. Nicht nur, weil dann die Dame nicht sehen könnte, wie ich mir täglich selbstbestimmt ein Fertiggericht fertig richte und sodann, nach dem Verzehr, die Küche reinige. Und weil ich daher weiß wie es ist, wenn bestimmte Leistungen nicht recht gewürdigt werden will ich hier eine besondere Leistung besonders würdigen. Eine Leistung, die nie hätte erbracht werden können, wären alle, die es könnten im Homeoffice.

Dirk zum Beispiel, wir wollen uns hier einmal, aus Gründen des Datenschutzes (zwinker zwinker), mit dem Vornamen begnügen. Dirk also war einmal ein Kollege, überwiegend, obgleich ziemlich leitend und in dieser Eigenschaft wohl zuweilen mit Gründen auch ziemlich leidend, in angenehmer Erinnerung geblieben. Inzwischen steht er einem Verein vor, den wir, aus Gründen des Datenschutzes (zwinker zwinker), hier einmal Winterlese nennen wollen. Dieser Dirk nun hatte diesen Dienstag einen großen, einen souveränen Auftritt, einen Auftritt wie gemalt, wie ihn sonst nur die Großen der Zunft ins Werk zu setzen wissen. Und das in einem Medium, das ich bislang, nun sagen wir: eher nicht als den Rahmen der ganz großen Auftritte in Erinnerung hatte.

Es war der Mitteldeutsche Rundfunk, es war das Thüringen Journal. Und es war Steffen Quasebarth. Dem bin ich, obgleich wir einander nur aus der Ferne kennen, doch irgendwie verbunden, denn seine Oma Erna spielte eine gewisse Rolle in meiner Kindheit und seine Onkel Wolf und Siegfried auch, aber das ist eine andere Geschichte. In dieser hier spricht also Steffen Quasebarth live mit Lars Sänger. Der Mann ist stresserfahren und belastungsresistent, er hatte im letzten Sommer, unter deutschlandweiter Beobachtung stehend, Björn Höcke interviewt und dafür viel Respekt erhalten. Lars Sänger also stand im Erfurter Haus Dacheröden, auf der eindrucksvollen Treppe, die auch schon Caroline und Goethe einen angemessenen Rahmen geboten hat. Und nun fragt der Steffen den Lars, live, ob sich denn schon … aber ehe er die Frage zu Ende bringt schiebt sich ein Schatten über die Szene, ein Schatten, von dem sich sagen ließe, ein großes Ereignis hätte ihn voraus geworfen. Das Ereignis ist Dirk. Er läuft, nein er schreitet souverän die Treppe hinab, die hier zur Show-Treppe wird, ja, für die Freunde der Theatergeschichte, zur Jessner-Treppe. Und besitzt, als er bemerkt, Teil einer Live-Übertragung zu sein, eine unglaubliche Geistesgegenwart. Dirk, ich erinnere es deutlich, war einer, der sehr spontan, sehr emotional reagieren konnte. Doch hier artikuliert er, wie es ganz natürlich gewesen wäre, kein „Scheiße!“, keineswegs ruft er, was doch als sehr verständlich hätte gelten können, „Wieso sagt hier einem keiner was?!“, nein er reagiert souverän und überlegt. Lächelt ein wenig, murmelt etwas das so ungefähr heißen könnte „nach Hause“ und geht ab. Ich weiß diese Geistesgegenwart zu schätzen, ich stand einmal, als Bühnenarbeiter, auf der Bühne, als, anders als geglaubt, der Vorhang offen war und das Publikum im Saal, rückblickend war das wohl einer meiner weniger gelungenen Auftritte. Allerdings, es gibt ein Stück von O’Casey, da läuft auch eine Erscheinung anlasslos durch die Szene und am Ende kommt die Sintflut. Doch wir mögen den Dirk zu sehr, um ihn hier als Menetekel zu missbrauchen.

Aber auch Steffen Quasebarth und Lars Sänger bewegten sich auf Augenhöhe der Situation und zeigten sich ihr gewachsen. Souverän ignorierten sie den lustigen Flitzer, geistesgegenwärtig verwarfen sie die im Kopf spontan formulierte Anmerkung „Was macht der Blödmann denn hier?!“ Wir erinnern uns bei der Gelegenheit an den weiland Kollegen sowie weiland Moderator Daniel B., dem es einmal fast gelungen wäre, das Thüringen Journal durch anhaltenden Lachanfall zum heitersten Beitrag des gesamtdeutschen Fernsehens an diesem Abend zu adeln. Womöglich hat ihn diese Fähigkeit, komplizierte Dinge mit Humor zu nehmen, die Stelle als Sprecher der Stadt Erfurt erworben. Wie auch immer, der Steffen und der Lars jedenfalls bewahrten den Ernst, der der Lage gebührt und taten so, als wäre das alles ganz normal.

Und gaben uns so doch ein feines Beispiel, denn im Eigentlichen galt die Live-Sendung den neuesten Entwicklungen der Pandemie und den daraus folgenden Entscheidungen. Ein Beispiel, das uns lehrt, wie wir es halten könnten mit der Krise, wenn sich die Lage anders entwickelt, als der Plan es vorsah, wenn wir nicht wissen, ob das nun zum Weinen oder zum Lachen ist, kurz, wenn es ist, wie es ist: Sie reagierten vollkommen unhysterisch und nahmen die Dinge, wie sie sind.