Henryk Goldberg über uns und unsere Lebenden Leckerbissen.

Also, ich fang mal ganz groß an, ganz oben: Gibt es einen Unterschied, ich meine: einen grundsätzlichen, einen moralischen Unterschied, zwischen, sagen wir, einem Deutschen und einem Afrikaner? Nein? Nein, natürlich nicht. Sollten Sie diese Frage bejahen, dann scheren Sie sich aus meiner guten Stube, dann sind Sie so dumm, dass Sie die Schweine beißen.

Apropos: Gibt es nun aber einen Unterschied, einen grundsätzlichen, einen moralischen zwischen einem Schwein und, sagen wir, einem Dackel? Ja? Natürlich? Selbstverständlich? Aha. Nämlich: Das Schwein kann man essen und den Dackel nicht. Hä? Wieso nicht? Schmeckt er nicht? Ist er giftig?

Nein, ich bin nicht blöd. Ich kenne den Unterschied, ich empfinde ihn ja: Der Unterschied ist mein Gefühl. Ich kam darauf, weil mir meine Schwester dieser Tage beim Aufräumen ein Foto von Timmi zeigte, Timmi war ihr Dackel. Und die beiden Dackel unserer Kindheit hießen Schlumpi, dann kamen zwei Pudel, wir liebten sie alle. Dieser Tage gab es ein Foto in der Zeitung, ein Hund lag auf einem Grill in der Innenstadt. Natürlich, eine Attrappe, eine Provokation, dennoch berührte dieses Bild merkwürdig: Ein Hund gehört nicht auf einen Grill, das wirkt brutal. Das verletzt den guten Geschmack.

Des Fleisches, das wir später essen werden. Und, wie oft haben Sie dieses lustige Bild gesehen, da hat das Schwein, das gleich gefressen wird, einen Apfel im Maul, manchmal steckt dem erwartungsvoll grinsendem Tier das Besteck im Rücken. Und kürzlich las ich im Blatte vom einzigen deutschen Schlachthotel, darin die Gäste im fröhlichen Miteinander singen „Morgenrot, Morgenrot, unsre liebe Sau ist tot“, derweil die liebe Sau am Haken hängt.

Ich mag kein Kaninchen, kein Lamm, die sind so klein, so niedlich. Ich weiß, wie blöde das ist, aber ich kann nicht dagegen an. Vor vielen, vielen Jahr, in einem früheren Leben gab uns eine alte Bauersfrau allsommerlich Quartier, ein Glücksfall. Und jedes Mal in diesen zwei Wochen schlachtete sie eine Ente für uns. Das Tier hing zum Ausbluten an einem Pfahl – und am Abend würgte ich, sonst den Enten sehr zugetan, um das Urlaubsquartier nicht zu gefährden.

Doch, ich weiß schon, dass die schmackhafte Ente beim Chinesen ein lebendiges Tier war, das getötet wurde, damit ich es essen kann, aber da sehe ich es nicht. Ich bin in dieser Frage der Verdränger-Typ, ich möchte an keinem Schlachtfest teilnehmen und das Gehackte nicht schlachtwarm essen. Und ich möchte an der appetitlichen Fleischtheke keine Köpfe sehen und keine Füße. Ich bin wohl wie die Mehrheit, ich weiß es, aber ich will nicht daran erinnert werden.

Nein, ich bin jetzt nicht auf den Hund gekommen, ich werde in diesem Leben kein Vegetarier mehr, obgleich die beiden Damen in diesem Hause den Fleischkonsum unter der Woche radikal gekürzt bis gestrichen haben, das geht ganz gut. Aber da ich, trotz auswärtiger Gene, hier in Thüringen sozialisiert wurde, habe ich die Kultur der Bratwurst wohl unausrottbar verinnerlicht. Es ist wirklich eine Frage der Kultur, der Tradition.

Es ist eine Frage der Kultur und der Tradition, nicht der Moral, dass wir das Schaf essen und den Schäferhund nicht, dass das Rotkehlchen uns als ein anderes Lebewesen gilt als die Ente. Wir gewähren diesen Lebewesen unterschiedliche Rechte, nach Beobachtung unserer emotionalen Nähe zu ihnen.

Hunde und Pferde und Katzen haben nun einmal den Vorteil, als Freund des Menschen zu gelten, wir können eine Beziehung zu ihnen aufbauen, wir können sie streicheln, sie können uns erkennen, sie können sich freuen, wenn sie uns sehen: Sie können uns rühren.

Bitte, ich bin einer von denen, die manchmal auf der Straße stehenbleiben, um spielenden Hunden zuzusehen, auch verliere ich mich gelegentlich auf Facebook an die niedlichen Tiervideos. Aber ich halte es für möglich, dass es einmal Konsens unter den Menschen sein wird, dass Tiere Rechte aus sich heraus haben und sie diese Rechte nicht nur eine menschliche Zuteilung erhalten, die sich am Grad der Vermenschlichung, der Emotionalisierung der Tiere bemisst.

Das Küken-Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes war ein Schritt dahin. Und ich glaube auch, was ich lang bezweifelt habe: Es wird einmal als unethisch gelten, Tiere zu essen. Aber sie werden es trotzdem tun. Es gilt schließlich auch als unethisch, Menschen verhungern und ertrinken zu lassen.