Henryk Goldberg über die Frage, ob er alle Menschen mögen muss.

Also, die Welt ist ja nicht untergegangen, obwohl am Donnerstag nach dem Sonntag der 30. Mai war. Und sie wird wohl auch am 30. Mai des kommenden Jahres noch stehen, obwohl wir dann den 27. Oktober gehabt haben werden.

Und womöglich hat sich bis dahin ja sogar die neue Landesregierung konstituiert. Wie auch immer die Wahl ausgegangen sein wird, eine Partei wird nicht in der wie groß auch immer gearteten Regierung vertreten sein. Nämlich, die AfD. Obgleich sie womöglich die zweite Kraft im Lande sein wird. Sie wird nicht Teil einer Koalition, weil jede Partei, die mit der AfD koaliert, sich damit den Rest gäbe. Und das, obgleich diese Partei hier in Thüringen bei den Europawahlen 23 Prozent der Stimmen gewann.

Und das beschreibt so ziemlich genau die Situation: Eine Partei, die fast ein Viertel der Wählerstimmen gewann, gilt als der politische Paria – wenigstens den anderen Parteien und vielen Bürgern, auch mir und den Menschen, die mir nahestehen. Das Problem ist allerdings nicht die AfD, das Problem sind ihre Wähler. Die haben von ihrem guten, demokratischen Recht Gebrauch gemacht.

Und nun?

„Der Osten“, schreibt ein ehemaliger Kollege auf Facebook, „der wie kaum eine andere Region von EU-Mitteln profitiert hat, wählt nun als Dank die Nazis, die die EU abschaffen wollen? Das ist kein Protest, das ist einfach nur strunzdoof.“ In seiner neuen Zeitung, obwohl sie im Westen erscheint, würde er das wohl anders formulieren, aber so macht er sich deutlich. Und auch ich will mich deutlich machen, indem ich bekenne, diese Meinungsäußerung mit einem „gefällt mir“ markiert zu haben.

Es ist nicht so, dass ich alles, was wütende, besorgte Bürger fordern, für rechtsextrem halte, manche Forderung im Umfeld der Flüchtlingsdebatte hätte mehr Aufmerksamkeit in Politik und Medien erfordert, ehe sie durch Ignoranz zum Nationalismus aufwuchs.

Die wenigstens AfD-Wähler sind Neonazis, auch die Partei selbst ist nur zu Teilen diesem Spektrum zuzurechnen, auch wenn diese Teile mit Björn Höcke ihr geistiges Zentrum in Thüringen haben. Die richtigen Hardcore-Nazis haben NPD und dergleichen Zeug gewählt, in Eisenach wurde ein rechtskräftig verurteilter Neonazi zweitbester aller Kandidaten.

Und da die Oberbürgermeisterin nur zum Schein kandidierte, wird er der Abgeordnete mit dem stärksten Mandat sein. Die Mehrheit der Menschen, die jetzt für die nationalistische AfD votierten, hätten wohl nie eine neonazistische Schmuddelpartei wie die NPD gewählt. Aber AfD, das ist irgendwie bürgerlich, das ist nicht peinlich, das wird man ja, sozusagen, noch wählen dürfen.

Natürlich darf man das. Und natürlich darf man das auch so finden wie der oben erwähnte Kollege, dem meine uneingeschränkte Sympathie gehört. In mindestens vier Kommunen, so wurde nach der Wahl bekannt, ist die AfD nicht in der Lage, alle ihr zugefallenen Sitze zu besetzen. Sie hat einfach nicht genug Kandidaten. Das mag man auf den ersten Blick lustig finden, aber im Eigentlichen ist es vollkommen unlustig.

Kommunalwahlen sind in der Regel weniger Parteien- als Personenwahlen, vor Ort werden die Kandidaten gewählt, die man kennt, das ist nicht Berlin oder Brüssel, das ist vor der Haustür. Aber hier haben Menschen Kandidaten gewählt, die es gar nicht gibt.

Will sagen, es war ihnen egal, wer das ist, wenn er oder sie nur in dieser Partei ist. Was wiederum bedeutet, dass Inhalte weitgehend gleichgültig sind, wenn es nur gegen „die“ geht. Die „Altparteien“ , die Etablierten, das Establishment. Die AfD als Wutventil.

Da wird das Zeug, das da mitläuft, mitschreit, in Kauf genommen, egal. Da haben viele dieser Wähler den Kontakt zu unserer Gesellschaft abgebrochen, da ist kein Interesse mehr, nur noch Wut.

Dann, finde ich, wird diese Wutabfuhr unerwachsen, unintelligent, verantwortungslos. Und dann darf einem als geborenen, gelernten und gelebten Ostler dieser Osten irgendwie peinlich sein.

Dann kann man den Westler verstehen, der sehr unfroh in diese Landstriche schaut, in die sehr viel von seiner Steuer transferiert wurde.

Dann kann man denken, beim Beobachten seiner Leute: Mensch, wir haben nicht viel Grund, ein so sehr großes Maul zu haben.Politik muss sehen, diese Bürger zurückzugewinnen, muss ihnen Angebote praktischer Politik machen, es geht nicht anders, da es um alle geht.

Aber ich bin kein Politiker, ich muss diese Art Wut weder respektieren noch mögen. Das wird man ja noch schreiben dürfen.