Henryk Goldberg fragt sich, wie lange das noch so gehen soll.

Nein, er ist kein Muslim. Er ist kein Araber, dem der Antisemitismus als Erbinformation eingeprägt wurde. Er kommt aus keinem Flüchtlingslager. Aber woher kommt er?

Aus unserer Mitte. Einer von uns. Er hat die DDR, 27 Jahre alt, nicht mehr erlebt, hat, aufgewachsen in einer Demokratie, nie wirkliche politische Unterdrückung erlebt. Beinahe ist man versucht, in Anlehnung an das Eichmann-Stück von Heinar Kipp­hardt, vom „Bruder B.“ zu reden. Woher kommt dieser Hass, der bereit ist, wildfremde Menschen zu töten, wegen einer Ethnie, einer Religion, einer Weltanschauung? Juden, Muslime, Linke, das war seine Prioritätenliste. Oder, wenn er wütend war, weil sich die Tür der Synagoge nicht aufsprengen ließ –„verkackt“ sagt er, dann wenigstens „Kanacken“ – dann durfte es auch eine Frau sein, die dort zufällig die Straße entlang kam.

Der Mann lebt in einer Demokratie, aber er lebt auch in einem Land, in dem irritierende Dinge geschehen.

In der vergangenen Woche kletterte ein Syrer über die Mauer einer Berliner Synagoge und ging mit einem Messer auf die Sicherheitsbeamten los. Und später ging er nach Hause, die Staatsanwaltschaft sah keinen Grund für einen Haftbefehl. Aber immerhin, die Berliner Polizei sah deshalb Gründe, die jüdischen Einrichtungen an Jom Kippur besonders zu schützen und hat das kommuniziert. Die Polizei in Halle sah solche Gründe nicht.

Rechtsrock-Konzerte unter dem Schutz des Versammlungsrechtes

Das Erfurter Landgericht korrigierte ein Urteil des Amtsgerichts Weimar. Das hatte eine Entscheidung der Stadt Magdala bestätigt, die einen Feldweg sperrte und so ein Rechtsrock-Konzert platzen ließ.

Rechtsrock-Konzerte stehen noch immer unter dem Schutz des Versammlungsrechtes, obgleich sie ebenso als kommerzielle Veranstaltungen eingestuft werden könnten.

Die Stadt Eisenach wollte eine Demonstration verbieten, auf der B. Höcke als „Faschist“ bezeichnet werden sollte, das könne als Beleidigung gelten. Das Verwaltungsgericht Meiningen gab der Beschwerde der Veranstalter allerdings recht, Höcke dürfe hier durchaus „Faschist“ genannt werden, dafür gäbe es eine „überprüfbare Tatsachengrundlage“. Die Oberbürgermeisterin der Stadt, die verhindern wollte, dass Höcke Faschist ­genannt wird ist Katja Wolf, Die Linke.

Auf Facebook nennt einer, mit vollem Namen, einen Augenzeugen einen „schlechten Schauspieler“ und den Mord eine „Show“. Ebenfalls dort kommentiert ein Mann, der einst Regisseur bei der Defa war, sehr ironisch die Berichterstattung und schmückt seinen Kommentar mit einem Smiley.

Auf einen Post der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli zu dem Doppelmord antwortete „Sebastian“: „Du wirst feucht im Höschen, gell?“. Und „Menu2mitSalat“: „Hoffentlich wirst du dabei erschossen, du Muselschlampe.“

Geistiger Morast

Das Landgericht Berlin stellte fest, dass es sich durch Zuschreibungen wie „Stück Scheiße“, „Drecks Votze“ oder „Sondermüll“ an die Politikerin Renate Künast nicht um strafbewehrte Beleidigungen handele, nicht um „Diffamierung der Person“, die Verfasser bleiben anonym. Allerdings, die „Drecks Votze“ soll sich noch „haarscharf an der Grenze des Hinnehmbaren“ bewegen. Immerhin.

In diesem Umfeld wächst der Mörder auf. Einem Umfeld, in dem die Absagen an Rassismus klingen wie die kraftlosen Sonntagspredigten des Establishments und der belächelten „Gutmenschen“. Der Rassismus, der Hass, die geistige Brutalität hingegen können sich ungehindert ausbreiten, im Netz und auf der Straße.

In Plauen konnte am 1. Mai „Der III. Weg“ mit Trommelschlag und Uniform marschieren, die Reihen fest geschlossen. Und die Stadt hielt den Nazis die Straße frei. Der Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag kann mitteilen, „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“. Und so „haben wir das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“. Eine der Leistungen deutscher Soldaten besteht darin, die Ermordung von Millionen Juden ermöglicht zu haben.

Und B. Höcke, den ich auch einmal „Bruder B.“ nennen möchte, geht voran mit dem „Denkmal der Schande“ und der „erinnerungspolitischen Wende“. Das alles ist der geistige Morast, in dem Menschen wie der andere Bruder B. ihre Nahrung finden.

Es wird Zeit, diesen Sumpf auszutrocknen. Mit allen Möglichkeiten, die Recht und Gesetz bieten.

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