Henryk Goldberg über die Vorteile eines gewissen Preußentums.

Luise hatte Geburtstag diese Woche. Zwei Wochen zuvor war sie verantwortlich für einen doppelten Geburts-Tag, aber jetzt ging es um sie. Die Dame hatte was zum Schenken besorgt, was sich schließlich so gehört für eine Schwiegermutter, die will, dass es ihrem Sohn gut geht. Und sie hat es, also ihn, also den Geburtstag, nicht vergessen. Aber sie hatte vorsichtshalber mit dem Sohn zum Thema kommuniziert. Der Tag, den sie in Erinnerung hatte war nicht ganz korrekt, aber sie war ziemlich dicht dran.

Dabei, sie hätte mich fragen können. Um meinen Ruf als der Preuße in dieser Familie – was für einen, der ein halber Pole und dto. Jude ist, als hohe Auszeichnung gelten muss – um diesem Ruf also gerecht zu werden, habe ich sämtliche Geburtstage im iPhone gespeichert, das sagt dann, wem alles Liebe & Gute & vor allem Gesundheit zu wünschen jetzt ansteht.

Es sind vor allem Geburtstage, bei denen die Gratulationspflicht der Dame obliegt. Sie neigt nämlich dazu, Dinge aller Art zu vergessen, und vor allem neigt sie dazu, zu vergessen, dass sie zum Vergessen neigt. Aber irgendjemand muss ja Verantwortung übernehmen.

Emanzipationspolitisch ist das so korrekt wie gerecht. Schließlich, die Frau als solche war lang genug die, die den Mann als solchen erinnern musste, die wichtigen Dinge zu tun. Nun erfährt er, also ich, die Demut des Sekretärs. Also stehen sie bei mir alle im digitalen Kalender, Oksana und Pawel, Annette und Wolf-Peter, Wilma und Runhard. Die hier ansässigen Jubilare erfahren bei der Gelegenheit, wem sie tatsächlich die pünktlichen und liebevollen Wünsche eigentlich verdanken, das ist, finde ich, nur gerecht.

Ich bin nicht ganz so selbstlos wie die, auf die Brecht einst dichtete: „Wer täte nicht viel für den Ruhm, aber wer/Tut’s für das Schweigen?“

Und es ist wirklich wichtig. Einmal, da hatte sie sogar Emils Geburtstag um einen Tag verschoben, die Korrektur kam dann von mir, gerade noch zur Zeit. Da hat sie sich sehr geschämt und ich habe fein gelächelt.

Ich habe die Geburtstage auch nicht alle im Kopf, nur die wichtigen. Frau und Kinder und Schwester. Die hat mich früher übrigens immer erinnert, wenn ihre Kinder dran waren, vom Onkel beglückwünscht zu werden, aber seit einigen Jahren verlässt sie sich auf mein digital basiertes Preußentum.

Allerdings, den Neffen, der ein ziemlich erwachsener Mann ist, hab ich im Kopf. Der fällt nämlich, und ich bin seit zehn Jahren fest entschlossen das lustig zu finden, zusammen mit dem des Ex der Dame. Der steht übrigens nicht in meinem Kalender, was auch nicht notwendig wäre, den vergisst sie nicht. Als ich einmal darüber nachdachte, wieso das so ist, ausgerechnet?, fiel mir ein, dass ich den Geburtstag der Mutter meiner Kinder auch nicht vergessen habe, und stellte das Nachdenken ein.

Es gibt noch paar andere, die ich nicht aufschreiben muss. Stephan Märki zum Beispiel, der einstige Intendant des DNT Weimar und in Compagnie mit Hans Hoffmeister hartnäckiger und erfolgreicher Streiter für die Eigenständigkeit des Hauses. Märki hat nämlich am gleichen Tag wie ich, und so gibt es jährlich einen heiteren Wettstreit, wer seinen Glückwunsch zuerst platziert. In diesem Jahr hat er gewonnen, es dongte Punkt Mitternacht.

Ich habe jetzt, wir von der Zeitung nennen das Recherche, mal gezählt, wie viel sogenannte Wiegenfeste in meinem Kalender verzeichnet sind und kam auf 56. Allerdings, manche stehen nur noch da, weil sie einmal dastehen, sie sind, aus diesem oder jenem Grunde, nicht mehr aktiv, also die Beziehungen. Manchmal bedeutet das einen merkwürdigen, auch zu bedauernden Rückblick, manchmal nur ein Schulterzucken. So ein Geburtstagskalender ist auch ein Stück Erinnerung an das, was mal war.

Das Schlimmste aber, was einem Mann passieren kann, ist der vergessene Hochzeitstag. Und also habe ich da einen gleichsam Ganzjahreskalender eingerichtet, einen, der mich täglich erinnert. Es ist meine Autonummer. Konsequent hat in diesem Sommer, es gab keine Erinnerung, an dem besagten Tag nur einer gratuliert.

Sie wurde beinahe so rot wie die Rosen, die sie bekam und hat sich sehr geschämt.

Es war ein wunderbarer Tag.