Ein Salon über die Frage, wie risikoreich das Leben im Futur 2 ist.

Wissen Sie, wo Sie gerade sind? Natürlich wissen Sie das, wenn Sie nicht an Orientierungslosigkeit leiden – aber zur Orientierung in den Irrungen und Wirrungen dieses Fontane-Jahres haben Sie ja unsere Zeitung im Allgemeinen und diese Kolumne im Besonderen. Wir sagen Ihnen schon, wo’s langgeht.

Zum Beispiel in den Urlaub. Womit wir schließlich und endlich beim Thema wären. Nämlich. Ich weiß natürlich auch, wo ich gerade bin, am Schreibtisch, es ist bei mir jetzt noch nicht einmal Weihnachten. Aber wo ich sein werde, wenn Sie das lesen, das weiß ich nicht. Und wie von ungefähr kommt mir da ein Lied in den Sinn, das ich nicht mag, vorgetragen von einem Sänger, den ich nicht mag, das musikalische Thema eines Filmes, den ich, was schon zu häuslichen Debatten führte, auch nicht mag: „Weißt du wohin...“, Karel Gott schmalzt „Doktor Schiwago“, würg. Aber der Text passt jetzt, auch wenn nicht nur das Herz auf Reisen geht, sondern wir beide, also nicht mein Herz und ich, sondern die Dame und ich, was man natürlich auch synonym verstehen kann – aber lassen wir das, wir wollen schließlich nicht schmalzen wie der Gott des sedierenden Wohllauts.

Jedenfalls, wir wissen Ende Dezember noch nicht, wo wir Anfang Januar sein werden. Denn, so beschloss der Familienrat einstimmig auf Vorschlag der Vorständin, wir machen Urlaub surprise. Last Minute. Und jetzt muss ich mich an das komplizierte Futur 2 wagen: Wir werden am Heiligen Abend ein Reiseziel ausgewählt haben. Was ziemlich stelzig klingt, aber lustig gewesen sein wird. Jedenfalls, um wieder zu einem menschlichen Sprachgebrauch zu finden, jedenfalls wollen wir es uns am 24. Dezember, nach der Rückkehr vom auswärtigen Familienbesuch auf unserer gemütlichen Couch bei einem gemütlichen Glas Wein vor unserem gemütlichen Tablet (vulgo: ganz kleiner Computer), Sie ahnen es: ganz gemütlich ma-chen und was suchen. Was Schönes, Weites, Warmes.

Sicher, die Welt ist schön und weit und warm, kann also gar nicht so schwer sein. Aber sie ist auch groß, die Welt, und sie verlangt Eintrittsgeld. Sicher, nach langer, entbehrungsreicher Tätigkeit für diese Zeitung habe ich mir natürlich eine sogenannte goldene Nase verdient, und meine Reisebegleiterin tut es noch, indessen die Airlines und Hotels nehmen keine Nasen mehr in Zahlung, nur Kreditkarten.

Henryk Goldberg.
Henryk Goldberg. © zgt

Aber ich will hier nicht zu heftig klagen, es wird wohl reichen bis irgendwohin, wo es warm ist. Also Thüringen eher nicht, auch wenn uns ein klitzekleines bisschen das schlechte Gewissen zwackt, weil wir dem Thüringer Tourismus nicht auf die Sprünge oder auf die Oberhofer Höh’ helfen. Außerdem halten wir den alten Satz „Warum in die Ferne schweifen...“, selbst wenn er auf Goethe zurück geht, für einen ziemlich blöden Reiseratgeber. Ich neige da eher zu der Liedzeile „Die Ferne ist ein schöner Ort...“

Aber wo liegt er, dieser schöne Ort? Jedenfalls denke, hoffe ich, um wieder das stelzenlaufende Futur 2 zu bemühen, die Suche danach wird ein schöner Abend gewesen sein. Denn zum Zeitpunkt, da dieser Presseartikel verfasst wird, handelt es sich noch um ein soziales Experiment mit ungewissem Ausgang. Wenn ich, nur mal als Beispiel, beim virtuellen Mäandern über den Globus nun auf dem Gipfel des Mount Everest stoße, und sie will nicht mit, weil, sie hat nichts Warmes zum Anziehen? Oder sie stößt, eine alte Sehnsucht, auf jenen Ort, da das Volk den Sirius tanzt und ich bin doch nicht wirklich parkettsicher und verweigere die Gefolgschaft? Na, dann ade du schöne Weihnachtszeit. Doch ich bin optimistisch und werde zufrieden gewesen sein. Selbst wenn sie auf dem Everest friert wie eine Schneiderin, wenn ich einer Dogon-Dame den Fuß breitlatsche, während sie mir alles über den Sirius und Erich von Däniken ins Ohr flüstert, was meine Dame dann mit bitterer Eifersucht erfüllt: Was soll‘s. Denn wie wir alle wissen, die schönste Freude im Advent ist die davor, und die meisten Erlebnisse sind weder so schlimm noch so schön wie die Vorstellung davon. Was übrigens eine Erfahrung ist, die sich gelegentlich auch im Theater bestätigen lässt, hoffnungsvoll vor dem Vorhang sitzend. Dann geht er auf.

Wie für uns mit diesem Urlaub, sozusagen, der Vorhang aufgeht für dieses Jahr, das am Dienstag begonnen hat. Und wie es begonnen haben wird! Ich meine, das ist doch ein richtiges kleines Abenteuer, für zwei Menschen, die von Beruf SesselfurzerIn sind oder waren. So soll das Jahr uns weiterhin sehen, energisch, dynamisch, no risk, no fun. Und wir gehen das volle Risiko, das Risiko des Lebens im Futur 2.

Falls Ihnen das jetzt auf die Nerven ging, dann tröste ich mich mit unserem Urlaub. Im Präsens.