Henryk Goldberg über die Schwierigkeit zu tun, was man doch weiß.

Friday for Future, die jungen Menschen, die Zukunft, ich bin dafür, im Ernst. Ich will schließlich nicht sein, was ich doch bin, ein alter weißer Mann. Und alte weiße Männer neigen dazu, junge weiße Frauen zu mögen. Aber manchmal ist das schon etwas anstrengend. Selbst und vor allem dann, wenn es die Tochter der Ehefrau ist. Denn diese junge Dame, nennen wir sie L., kämpft auch für die Zukunft. Schließlich, sie hat ja, so wie einst wir, nur hoffentlich etwas wirklichkeitsnäher, ein Ziel vor den Augen. Und dafür kämpft sie, mit einer Ausdauer, einer Intensität, die mit 0/8/15 falsch beschrieben wäre, eher mit 24/7. 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Für eine gute Zukunft, für eine saubere Erde. Manchmal nennen wir sie scherzend unsere Greta, und manchmal sogar, wenn sie es hört.

Und manchmal, wenn sie nicht da ist, da machen es wir es schnell und heimlich, was wir eigentlich nicht sollen und, eigentlich, auch nicht wollen. Aber es kommt schon vor. Zum Beispiel, dass ein paar Scheiben Brot hart geworden sind. Soll nicht sein, passiert aber. Vermutlich könnte man Brotsuppe daraus bereiten und vermutlich würde sie im Netz ein entsprechendes Rezept finden. Aber wir, L.’s Mama und ihr Mann, sind nicht sehr brotsuppenaffin. Also, die primäre Zutat der ungekochten Brotsuppe wird entsorgt. Heimlich. Ich bring es, damit sie es nicht findet im Müll, dann schnell runter in die Biotonne. Das ist ziemlich sicher, denn der Gang zu den Mülltonnen ist hier mein Privileg. Auch andere unverwertete Speisereste fallen manchmal an, ein Restchen Kraut hier, ein Löffelchen Suppe da.

Wenn das Kind anwesend ist, entwickelt es einen sanften Terror. Sie hat ja recht, weiß ich ja. Trotzdem esse ich etwas nicht, nur, damit es nicht weggeschmissen wird. Aber wenn es auf dem Tisch bleibt, dann schaut sie uns so an, mit so einer Mischung aus Trauer, Mitleid und Nichteinverständnis.

Sie sind ja, sagt dieser sprechende Blick, nicht an sich schlecht, sie wissen es ja. Aber sie sind so alt, sie begreifen es nicht mehr, ist ja auch nicht mehr ihr Problem. Aber ein bisschen Rücksicht auf uns könnten sie schon nehmen. Und die Dame, Mutterliebe kennt weder Grenze noch Schmerz, neigt dann dazu, das Restchen, das Löffelchen zu schlucken.

Oder Tüten. Das ist richtig, dass es immer weniger gibt und notwendig ist es auch. Aber manchmal bekommt man hier und da doch eine. Klar, wir haben dann nicht, oder fast nie, danach gefragt, aber abgelehnt haben wir sie auch nicht.

Also sind wir bemüht, sie schamhaft zu verstecken, in der Kammer, in der die Pfandflaschen stehen und der Besen. Das ist sicher, da kommt sie fast nie hin, denn die Flaschen, auch ihre, räume ich weg und den Besen schwingt, wer die meiste Zeit hat, also der Rentner.

Die Welt ist voller Vorurteile. Eines davon besagt, Mediziner seien ignorant. Das stimmt nicht. Frau Dr. J. schreibt Gedichte, Herr Prof. U. macht Musik, Herr Dr. K. kümmert sich um Fußball – und Frau cand.med. R. um die Zukunft. Das ist ziemlich großartig, aber manchmal ist es auch ein bisschen anstrengend.

Die Zukunft, zeigt uns das, ist nicht nur weit weg, sie ist auch anstrengend. Und der Mensch neigt dazu, sich dieser Anstrengung zu entziehen, wenn es nicht mehr seine Zukunft ist. Er neigt dazu, das Gefühl seiner Gegenwart ins Künftige zu verlängern, im zwar gewussten, doch verdrängten Bewusstsein, dass ihm diese Verlängerung irgendwann versagt wird. Die Menschen, auf deren Geburtsurkunde ein Datum eingetragen ist, dass 30, 40, 50 Jahre vor dem seinen liegt, haben damit ein Ticket für die Reise in ein Land, das zu sehen ihn versagt bleiben wird.

Und also gehört die Beschaffenheit dieses Landes, manche nennen es Zukunft, nicht zu den Problemen, die ihn vorrangig bewegen.

Das ist das Greta-Problem, oder vielmehr, es ist das Welt-Problem, das durch Greta ein Gesicht und eine Wirkung bekommen hat. Und es ist vollkommen gleichgültig, ob die 16-Jährige von sich aus darauf kam, oder ob sie die wirkungsmächtige Erfindung eines Teams von Erwachsenen ist. Es ist gleichgültig, weil es wahr ist.

Greta, wie man hört, wird in die USA mit einem klimaneutralen Segelboot reisen. Wir, die Dame und ich, machen Urlaub in Sizilien, die junge Dame L. auf Kreta und Madagaskar. Wir reisen mit Auto und Schiff. Die junge Dame hat sich noch nicht geäußert, welches Verkehrsmittel sie nutzen wird.