Henryk Goldberg trauert um eine vergebende Chance.

Kennt man ja. Der Weihnachtsmarkt so schön, der Glühwein so stark, der Gang so schwer. Einige randalieren, dann sind sie drei Zeilen im Polizeibericht, die Mehrheit schwankt friedlich und fröhlich vor sich hin, dann kümmert sich kein Schwein um sie.

Es sei denn, das schwankende Wesen ist ein Waschbär. Dann gibt es einen medialen und menschlichen Auftrieb, der sich, sozusagen, gewaschen hat. Der Gute hatte auf Deutschlands schönstem Weihnachtsmarkt getan, was er immer tut, wenn er einen Stadtbummel macht: bisschen rumgestöbert in dem, was unsereiner so entsorgt. In diesem Falle waren es wohl die Restbestände des süßen Saftes. Ups, da hatte er ein Ding weg. Tapste über den Domplatz, bisschen wackelig, und tat schließlich, was mancher Mitbürger auch tut, irgendein Hauseingang, bisschen ausruhen. Und schon war er berühmt, Menschentrauben umstanden das niedliche Opfer des Traubensaftes und kicherten und knipsten um die Wette.

Da kamen die freundlichen Helfer des Wegs, der Feuerwehrmann Sam und seine Freunde und brachten ihn ins Tierheim.

Dachte dieser und jener Tierfreund. Aber sie brachten den Guten zum Bösen, zum Jägersmann, der es auch schon auf die gute Wölfin abgesehen hat. Und da wollte wohl mancher Tierfreund das Märchen umdrehen und dem Jägersmann und den Feuerwehrmännern Wackersteine in den Bauch nähen. Oder so. Diese Tierfreunde, denke ich, können keine Menschenfreunde sein. Aber die Freunde der Stadt hätten denen der Tiere entgegenkommen können.

Natürlich steht der Waschbär auf der Liste der unerwünschten Spezies, natürlich verdrängt er andere Populationen, natürlich kann er die Staupe übertragen und natürlich kippt er unsere Mülltonnen um. Und vielleicht stimmt es sogar, wie die Stadt Erfurt erklären ließ, dass unser europäisches Recht es verbietet, einen einmal inhaftierten Angehörigen dieser Spezies wieder zu entlassen.

Jedoch, und diese These wage ich jetzt einmal, die Europäische Union hätte wohl nicht ihre ganz scharfen Instrumente ausgepackt, ich gehe sogar weiter und behaupte, keine Sau in Brüssel hätte sich um unseren süßen kleinen Waschbären gekümmert. Denn dieser wäre ein Star geworden, über Erfurt und Deutschland hinaus.

Sie hätten ihn zum Maskottchen des Erfurter Weihnachtsmarktes machen können, zum europaweiten Symbol des schönsten deutschen Weihnachtsmarktes in der freundlichsten deutschen Stadt. Natürlich, so wurde die zu große Population der Waschbären in Deutschland um ein Exemplar reduziert, das wird ihre Ausbreitung entscheidend reduzieren. Oder doch nicht?

Gewiss, das war alles korrekt und dem Gesetz entsprechend. In unserer Gesetzestreue lassen wir uns von keinem wilhelminischen Schutzmann übertreffen. Nur die Sache mit dem Herz, die haben wir im Zentrum des grünen Herzens nicht so richtig verinnerlicht. Denn natürlich geht so ein kleines, aber besoffenes Tier den Leuten an Herz und Nieren.

Das mag, wer will, albern finden und irrational, aber so ist der Mensch nun mal. Und also war klar, dass diese Exekution, verbreitet durch die sozialen Medien, ein Vorgang würde.

Und nun stellen wir uns einmal vor, irgendein Verantwortlicher hätte sich erinnert, wie das im letzten Jahr so lief mit unserem Rupfi. Potthässlich und deshalb das weithin beliebte und besungene Symbol des Marktes, in diesem Jahr sogar als skulpturaler Wiedergänger.

Aber was ist ein großer hässlicher toter Baum gegen ein kleines niedliches lebendiges Tier? Es hätte einen Namen bekommen und einen Ruhm und eine Ode und nach seinem Ableben, womöglich ein Leberschaden, ein Nachleben als Stopfbär.

Außerdem, er hätte zum warnenden Exempel vor übermäßigem
Alkoholgenuss getaugt und sie hätten einen Glühwein nach ihm
benannt. Ein ewiges Ruhmeszeichen für die Freundlichkeit dieser Stadt.

Da hätten sich die amerikanischen Präsidenten mit ihren begnadigten Truthähnen vom medialen Acker machen können.

Apropos USA, 1980 gab es in Lake Placid Olympische Winterspiele. Das weltweit werbende Maskottchen dieser Spiele hieß Roni. Nun raten Sie einmal, was für ein Tier das war.