Henryk Goldberg über die Frage, wie aggressiv ein „aggressiver Humanismus“ sein kann.

Eigentlich war es ganz einfach. Eigentlich musste man nur eine ganze einfache Frage stellen: Worüber diskutierte Deutschland, als das „Zentrum für politische Schönheit“ (ZPS) vor zwei Jahren in Bornhagen neben dem Grundstück von Björn Höcke eine Nachbildung des Berliner Holocaust-Mahnmals installierte? Genau: über den Faschisten Höcke und seinen Satz vom „Denkmal unserer Schande“. Über die moralische und politische Verantwortungslosigkeit einer solchen Haltung. Und: Worüber diskutierte Deutschland, als das ZPS in dieser Woche in Berlin vor dem Reichstag eine Stele mit der Asche und den Knochenresten ermordeter Juden aufstellte? Genau: über das ZPS und seine Aktion. Über die moralische und politische Verantwortungslosigkeit einer solchen Aktion.

Damit hatte sich die Möglichkeit einer produktiven Provokation im Grunde schon erledigt. Nach einigen Tagen wurde das auch vom ZPS begriffen.

Heute sollte diese Stele, wenn es hinreichend viele Spenden geben würde, ein Betonfundament erhalten, heute sollte dort ein „Zapfenstreich der Zivilgesellschaft“ zelebriert werden.

Am Mittwoch hat das ZPS die Aktion abgebrochen, hat die Stele verhüllt, hat sich entschuldigt bei der jüdischen Gemeinschaft, bei allen, die sich betroffen und beleidigt fühlen.

In gewisser Weise ist das ein Lehrbeispiel darüber, wie rücksichtslos ein „aggressiver Humanismus“ sein kann, darüber, wie am Ende Ideologie die Menschen, deren Interessen sie doch progressiv vertreten will, aggressiv ignoriert.

Diese sich über alles und jeden hinwegsetzende Selbstüberhöhung, die bereit ist, Schmerzen und Wunden der Menschen hinzunehmen für das Wohl „der Menschen“, gab es in der DDR, und es gibt sie heute. Nur, dass sie keine Macht hat. Dabei, die grundhafte Intention des ZPS wird man kaum infrage stellen wollen, und eine „kriminelle Vereinigung“, wie ein Thüringer Staatsanwalt ermitteln wollte, ist es ganz gewiss nicht. Nur eine radikale Vereinigung mit einem radikalen Konzept. „Wir formen den politischen Widerstand des 21. Jahrhunderts …Wir experimentieren mit den Gesetzen der Wirklichkeit …“

Im Jahre 2015 exhumierten sie an den Außengrenzen der EU gestorbene Flüchtlinge und brachten die Leichname nach Berlin. Eine Provokation, aber mit Zustimmung der Angehörigen. Im Jahre 2016 errichteten sie in Berlin eine Art römische Arena, dazu einen Käfig mit vier Tigern und der Ankündigung, diese würden an einem bestimmten Tag abgewiesene Flüchtlinge fressen: eine Art Gladiatorenkampf, „Not und Spiele“, eine in der Wirklichkeit inszenierte Metapher, wie Europa den im Mittelmeer Ertrinkenden zuschaut. Eine Provokation, aber es war klar, dass hier niemand von den Tieren gefressen wird. Es war eine inszenierte Wirklichkeit.

Aber dieses Mal war es keine inszenierte Wirklichkeit, es war die Wirklichkeit selbst. Denn die Asche der Ermordeten ist keine Inszenierung, sie ist Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, die mindestens für Juden verstörend wirken muss, empörend. Denn, so steht es geschrieben, „ein Haus für die Ewigkeit soll das Grab sein, ein Haus bis zum Jüngsten Tag“.

Hätten sich die Vertreter des „aggressiven Humanismus“ vorab ein wenig mit diesem Aspekt des Judentums befasst, sie hätten wissen können, welche Reaktionen das mindestens in der jüdischen Gemeinschaft provozieren muss. Aber sie haben die Asche der Ermordeten, ob es nun wirklich diese Asche war oder ein Fake, sie haben die Erinnerung an die sechs Millionen und ihre moralische Autorität benutzt für ihr Ziel. Dieses Ziel, die Warnung, dass der deutsche Konservatismus schon einmal den Faschisten die Macht übergeben hat, ist ehrenwert und sinnvoll in Betrachtung der AfD. Aber es war pietätlos in Betrachtung des Judentums. Denn sie haben nicht verstanden, dass man nicht vor einem neuen Faschismus warnen kann, indem man die substanzielle Gefühlswelt der Opfer des alten Faschismus ignoriert. „Eine Sturmtruppe zur Errichtung moralischer Schönheit“ nennt sich das ZPS. Dieses Mal hat es, was die Sensibilität gegenüber dem Judentum betrifft, an Sturmabteilungen anderer Provenienz erinnert. Diese nun verhüllte Stele war ein, nun ja: Denkmal der Schande.