Henryk Goldberg über Apotheken, Ideologen und Straßen.

Besser geht es nicht. Der Straße, die nach einem Mann benannt ist, der schwarze Sklaven als Handelsware transportierte, den Namen eines schwarzen Mannes geben, der in eben dieser Straße geboren wurde und seiner Hautfarbe wegen als Jugendlicher nach Buchenwald kam.

Die Mehrheit der Anwohner ist dagegen, zwei sehr aktive Vereine sind dafür, nun haben sich noch 32 honorige Persönlichkeiten der Stadt dazu bekannt. Dazu schrieb mir noch ein professionell geschätzter und persönlich gemochter Kollege, wie dringlich das sei. Und am Dienstag soll die Stadt Erfurt entscheiden.

Sollte sie ihr Votum vertagen, dann vertagt sie damit nur die aus einer solchen Entscheidung, wie auch immer sie ausfällt, folgende Erregung. Und die Trennlinie zwischen den Kombattanten scheidet nicht zwingend die politischen Lager.

Denn wir befinden uns, nicht nur in Deutschland, in einer Art Kulturkampf, in einem absehbar nicht zu harmonisierenden oder im demokratischen Konsens zu beendenden, das Wort ist hier mit Bedacht gewählt, Glaubenskrieg.

Und die Frage heißt ungefähr, wie konsequent, wie radikal, manchmal auch: wie brutal, wie rücksichtslos die Gegenwart von den Zeichen der Vergangenheit gereinigt werden soll. Und wie für alle Glaubenskämpfer, für alle Ideologen, gilt die Reaktion der anderen als eine zu vernachlässigende Größe.

Politische Pioniere neigen dazu, ihre Anliegen schrill und laut und aggressiv zu vertreten. Das muss auch so sein, um gehört zu werden, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. So kam der Feminismus in die Gesellschaft, so die Ökologie.

Heute gehört Alice Schwarzer gleichsam zum Establishment und die Grünen sind eine Regierungspartei. Ich habe einst über Alice Schwarzer arrogant gelächelt und über den Club of Rome auch. Deshalb habe ich manchmal Angst, die neuerliche Ignoranz gegenüber anstürmenden Bewegungen wäre in einigen, mir womöglich nicht mehr verfügbaren, Jahren wiederum zu korrigieren. Und trotzdem…

Und trotzdem will ich einen Quark einen Quark nennen. Die Harry-Potter-Erfinderin J. K. Rowling wurde im Netz gehetzt und gejagt, ihre Bücher wurden zur Verbrennung anempfohlen, weil sie gegen die Ersetzung des Wortes „Frau“ durch „menstruierende Person“ polemisierte.

Pippi Langstrumpf kennt keinen „Negerkönig“ mehr, Tom Sawyer keinen „Nigger“ und Berlin hat die „Mohrenstraße“ abgeschafft, die gleichnamigen Apotheken kämpfen um ihren Namen.

„Neger“ ist tatsächlich und mit Recht ein Unwort, als Teil der tradierten Literatur ist es aber auch ein Zeit-Wort mit dem Recht auf Unversehrtheit. Aber kein jetzt lebender Mensch hat jemals erlebt, dass der „Mohr“, anders als der „Neger“, als diskriminierende Bezeichnung eines Menschen in Gebrauch war, das Wort ist zu alt und zu exotisch.

„Schwul“ galt einmal als Schimpfwort, heute ist es ein sachlicher Begriff, eine stolze Selbstbenennung. Die Berliner Stadtverwaltung empfiehlt, das Wort „Ausländer“ zu vermeiden, es grenze aus. Das ist ein Unsinn. Es geht nicht darum, einen Unterschied, des Geburtslandes, der Hautfarbe, der Sexualität, zu verwischen und sprachlich zu verschleiern: Es geht darum, diesen Unterschied als eine Selbstverständlichkeit zu sehen, als eine Differenz, die keiner besonderen Erwähnung, keiner sprachlichen Besonderheit bedarf.

Ich weiß, wovon ich spreche, ich gelte in der wattierten Sprachregelung als „Mitbürger jüdischen Glaubens“, was in jeder Hinsicht ein Unsinn ist, wie ich ganz fest glaube. Aber auch hier geht es ganz fest um den Glauben. Den Glauben etwa, dass ein Mann, der zwar eine Fußnote deutscher Geschichte ist, aber im 18. Jahrhundert als Seemann am Sklavenhandel verdiente, nicht Namensgeber einer Straße sein darf. Kann sein, was ich nicht hoffe, diese Auffassung ist in zehn, zwanzig Jahren Konsens, jetzt ist sie es nicht.

Und jetzt bleibt zu hoffen, dass die Glaubens- und Kulturkämpfer nicht den Menschen, nicht der Sache für die sie doch stehen, schaden, indem sie sich den Teufel scheren um ihre Wirkung, etwa im kommenden April. In einer offenen Gesellschaft geht ein Kulturwandel nur als Prozess. Doch, es geht besser als sie es planen am Nettelbeckufer.