Henryk Goldberg ist in entspannter Erwartung des Weltuntergangs.

Na, schon was vor morgen? Heute noch schnell ein Apfelbäumchen gepflanzt? Wieso? Mensch, unsere antisemtisch-christliche Tradition! Martin Luther, wenn er gewusst hätte, dass morgen die Welt untergeht, dann würde er schnell noch was für den Baumbestand getan haben. Klar?

Also. Okay, wenn Sie schon Luther nicht kennen, aber in einem Alter sind, in dem Sie noch immer eine gedruckte Zeitung lesen, dann kennen Sie doch wenigstens unser deutsches Liedgut. Und wissen also: Am 30. Mai ist der Weltuntergang. Früher, Sie wissen schon, früher, da wussten wir am 1. Mai, dass der Sozialismus unbesiegbar, weil wahr ist. Irgendwas war wohl mit dieser Wahrheit, was nicht wirklich wahr war.

Nun bleibt uns der 30. Dieses schöne, sehr philosophische Lied schmetterte das Golgowsky-Quartett 1954 mit einer fröhlichen Inbrunst, vergleichbar etwa der Leidenschaft, mit der einst im Mai die Lautsprecher auf den Straßen die Kampflieder brüllten, um die Herzen und Hirne der Werktätigen mit Zuversicht zu erfüllen.

Und die Zuversicht, sie lässt uns auch heute sagen, warten wir den Montag ab. Womöglich findet der Weltuntergang gar nicht statt, wenigstens nicht morgen. Und das, liebe Freunde, mindert keineswegs die Glaubwürdigkeit des deutschen Liedes als solchem, es belegt im Gegenteil die wissenschaftliche Seriosität des Textdichters Karl Golgowsky.

Denn während andere Medien seit Jahrzehnten in ihrer boulevardesken Oberflächlichkeit nur immer diese Titelzeilen nachplärren, „Wir leben nicht mehr lang, wir leben nicht mehr lang“, gräbt das philologische Recherche-Team dieser Kolumne tiefer und kann die nervöse Leserschaft dieser Zeitung mit einer beruhigenden Analyse für ihre Treue belohnen. Denn der Dichter schreibt so: „Doch keiner weiß, in welchem Jahr/Und das ist wunderbar/Wir sind vielleicht noch lange hier/Und darauf trinken wir!“

So soll es sein, und vermutlich deshalb dürfen wir auch pünktlich wieder die Außengastronomie nutzen, „Das macht uns allen Spaß/Herr Ober, noch ein Glas!“ Da dieser Satz jetzt wieder legal ist, scheint die drohende Apokalypse noch einmal abgewendet. Und sollte es auch regnen, mein Gott, was ist ein Wolkenbruch gegen den Weltuntergang.

Karl Golgowsky, der seinen persönlichen Weltuntergang erst 1994 erlebte, erweist sich mit diesem Traktat über die Welt auch als ein Mann auf der Höhe der Erkenntnisse. Denn irgendwann geht die Welt, oder was wir in unserem chauvinistischen Geozentrismus so nennen, ja tatsächlich unter.

Die wissenschaftlichen Voraussagen zu diesem Ereignis schwanken zwischen 900 Millionen und 1,3 Milliarden Jahren. Das ist tatsächlich besorgniserregend, aber doch kein Grund, die Dinge zu überstürzen. Vermutlich wird in 500 Millionen Jahren, oder auch schon in 100, die Menschheit geschlossen auswandern, aufrechten Ganges in den gekrümmten Raum, und dann beginnen die Märchen mit dem Standard-Satz „Es war einmal, als die Menschen noch auf der Erde lebten.“

Ob nun allerdings der 30. Mai des Jahres der Tag sein wird, an dem das letzte Raumschiff die Erde verlässt, oder der, an dem es auch für den letzte Feuersalamander hier unten zu heiß wird, das muss vorerst offen bleiben.

Manche sagen, es sei der Tag, an dem Rot-Weiß Erfurt gegen den FC Carl Zeiss Jena um die deutsche Meisterschaft spielt, aber dieser Aussage fehlt wohl die wissenschaftliche Dignität. In jedem Falle, es wird sein, einst im Mai und ob die Menschheit dann noch bereit sein wird, es mit Heines Einschätzung dieses Monats zu halten, das wird wohl von den Umständen abhängen.

Allerdings, es gibt für diesen hoch seriösen Text von Karl Golgowsky kein Uraufführungsdatum, anders als für unser Rennsteiglied, das wanderte an meinem 2. Geburtstag in die Welt, und das ist auch schon eine halbe Ewigkeit her.

Das Verlangen, von dem Herbert Roth für die Ewigkeit singt, „habe ich Verlangen“, eng benachbart des Müllers Lust, das nimmt auch Friedrich Nietzsche, Weimar! in sein trunkenes Lied, denn „alle Lust will Ewigkeit“.

Und den Rennsteig, liebe Freunde, den lassen wir uns nicht vermiesen von so einem blöden Weltuntergang!