Henryk Goldberg über die Frage, was uns von Corona bleibt.

Also, die Kultursoziologen. Die werfen sie auf, die stellen sie zur Diskussion, die führen sie in den Diskurs ein. Wen? Na, die Fragen natürlich, die Fragen über das Leben danach. Das Leben nach Corona. Ob denn, so lautet eine von ihnen, ob denn also das Leben danach so sein wird, wie das Leben davor.

Diese Kolumne fühlt sich in ihrem methodologischen Ansatz, darin der in Erfurt ausgebildeten kanadischen Soziologin Barbara Thériault nahe, einer Soziologie des Alltags verpflichtet und sieht sich daher in der Lage, diese Frage eineindeutig zu beantworten: Selbstverständlich nicht, irgendetwas wird bleiben. Nicht die Maske, nicht der Abstand, nicht die Rücksicht. Es ist das Einkaufen.

Sie haben doch, seitdem Krise ist, immer diese Kontrollen am Einlass, ein Einkaufswagen pro Einkäufer. Ich habe es nicht sofort begriffen, aber nach der ersten Erklärung schon, es ist auch nicht so furchtbar schwer. Manche benötigten die Polizei, um es sich erklären zu lassen. Ich habe so vor mich hingenörgelt, aber einsichtsvoll einen zweiten Wagen genommen. Und Erstaunliches festgestellt.

Es geht nämlich viel besser. Ich muss nicht mehr demütig ihre Aufträge entgegennehmen, was denn noch heranzuschleppen wäre. Ich muss nicht mehr, unter einem Arm das Sixpack Wasser, unter dem anderen das Bündel H-Milch, gefühlte Viertelstunden durch die weitläufige Halle irren, um zwischen den labyrinthischen Regalen das lustige Wo-bist-du-Spiel zu spielen. Weil doch, natürlich, der eine Einkaufswagen bei ihr war, ich bin der Kerl, ich schlepp was weg, lässig.

Ich muss nicht mehr dieses Gewürz mit dem komischen Namen suchen, um am Ende doch eine Verkäuferin zu fragen, die mich dann nachsichtig lächelnd an-schaut, armer Kerl.

Aber jetzt führe ich, im gleichen Raum mit ihr, ein selbstbestimmtes Männerleben im Supermarkt. Ich erlebe dieses souveräne Gefühl der Eigenverantwortung, dieses Glück, gleichwertiges Mitglied eines Teams zu sein.

Ich suche, was ich so brauche für die Woche, Huhn Shanghai etwa für die Mikrowelle, bisschen Herrenkosmetik, die eine wöchentliche Cola-Flasche – diese Genügsamkeit ist meinem Gewicht, nicht ihrem Preis geschuldet –, bisschen Rotwein von der Art, die meine Schwester nicht einmal ihrem Waschbären zu Weihnachten zumuten würde.

Dann widme ich mich konzentriert meiner gesamtfamiliären Verantwortung. So habe ich ständig die K-Frage im Blick, die bei uns semantisch codiert Millimeterpa-pier genannt wird, und sie muss sich nicht mit dem Zeug zeigen und genieren. Auch das Wasser für alle gehört zu meinen Aufgaben, die Tabletten für den Geschirrspüler, der als Rentner in meine Zuständigkeit fällt. Auch ist ihr noch nie aufgefallen, dass diese fettlösende Flüssigkeit für die Küche sich in einer Flasche befinden muss, die dem Töpfchen, in dem der süße Brei nie alle wird, sehr ähnlich ist; so wie auch diese Topfkratzdinger aus Metall sich nie verbrauchen, obgleich ich täglich Töpfe kratze damit.

All das, und noch viel mehr, entgeht meinem aufmerksamen, umsichtigen Auge nicht, all das kommt in meinen Wagen. Und manchmal noch eine klitzekleine Kleinigkeit, die ich an ihrem, nicht minder aufmerksamem sowie schönem Auge als süße Konterbande vorbei schmuggeln kann. Denn ich bin mit meinem Wagen eher fertig als sie, sodass wir einander erst wieder am Auto begegnen.

Überdies passiert es jetzt nicht mehr, dass ich kurz vor der Kasse hinausgeschickt werde, um einen zweiten Wagen zu holen, weil der eine, entgegen ihrer und entsprechend meiner Vermutung, nicht so ganz ausreicht.

Und nun haben wir seit dieser Woche auch noch die Corona-App, wir haben die, obgleich viele kluge, kundige Bürger uns darauf hinwiesen, dass das die endgültige Unterwerfung unter das Merkel-Ramelow-Regime ist, wir sind aber ignorant genug, uns zu unterwerfen. Nun sammeln wir beim Einkaufen viel mehr Daten, wir decken gleichsam die gesamte Fläche ab beim getrennten Durchstreifen, wir sind beinahe so etwas wie eine Corona-Streife.

Okay, stimmt schon: und also Teil des Überwachungsstaates.

Apropos, wir sehen also, auch Corona ist so ambivalent wie unsere Republik: Es war nicht alles schlecht.