Henryk Goldberg unterstützt die Liebe zum Bewährten.

Kürzlich saßen wir im Garten, also mein Fräulein Mutter und ich. Sie haben da jetzt um das Heim herum einen schönen Garten angelegt, der wurde pünktlich zum Sommer fertig. Ich hatte ein paar alte Fotoalben mit, sie waren in ihrer Wohnung und sind jetzt in meiner.

Das Leder der Hüllen schon etwas brüchig, die Fotos schon leicht angegilbt, entstanden um die Zeit meiner Geburt oder noch früher. Reichsarbeitsdienst und so. Ich wollte Informationen zu diesen Fotos, solange ich sie noch bekomme. Manchmal vergisst sie, was vor einer Stunde war, aber sie erinnert Namen und Umstände von Menschen, die sie traf lange Jahre ehe sie die Entscheidung traf, meine Mutter zu werden. Präzise Erinnerungen an eine Zeit, da das „Fräulein“ eine vollkommen unironische Anrede war und „Fräulein Mutter“ der sarkastische Ausdruck eines zweifellos zweifelhaften Lebenswandels gewesen wäre.

Aber nun könnte ich die Erinnerungsfähigkeit meines Fräulein Mutter an die Grenze führen. Ich könnte sie fragen, was sie, gemeinsam mit ihrem Mann, am 7. 8. 1984 gemacht hat. Sie wird dieser Frage an genau dieser Stelle begegnen – und die Antwort nicht kennen. Aber ich. Ich habe jetzt nämlich, wohl angestiftet durch die Situation, einfach so, in alten Papieren gekramt und die Belege gefunden. Meine Eltern waren also am

7. August 1984 beim VEB Ifa-Vertrieb Erfurt und haben daselbst jeder eine Bestellung aufgegeben. Auf einen, so steht es da, Pkw Wartburg 353. Das heißt, eigentlich auf zwei, denn sie haben jeder einen Pkw bestellt. Ich weiß gar nicht, ob das rechtens war, der Zweitwagen war wohl damals eher unüblich, oder ob die notierte Nummer seines VdN-Ausweises (Vereinigung der Opfer des Naziregimes) da eine Rolle spielte. Ich weiß auch nicht genau, wieso diese Pkw-Anmeldungen noch existieren. Die eine wurde mit dem Tod meines Vaters obsolet, die andere mit dem des Landes, in dem Autos auf diese Art verkauft wurden.

Ich habe auch noch eine, ich habe sie, glaube ich, aufgehoben, weil ich damals dachte, dass das einmal eine Erinnerung sein wird. Hier ist das Objekt der Begierde ein Wartburg Tourist, die Adresse ist irgendwie schicker als die Rügenstraße in Erfurt, es handelt sich um den „Auto-Salon UdL“, also unter den Berliner Linden. Es ging aber auch nicht schneller.

Ich weiß auch gar nicht, wieso meine Eltern überhaupt derlei Bestellungen aufgaben, sie hatten und fuhren ihre Autos in den Fünfzigerjahren und dann nie mehr. Kann aber sein, es liegt daran, dass es just jenes Jahr war, in dem ich einen Wartburg bekam, durch Vermittlung meines Vaters und des oben erwähnten Ausweises. Meine eigene Bestellung war dann vermutlich für das Folgefahrzeug gedacht, es galt ja automobile Wünsche langfristig zu planen in der Planwirtschaft. Und mein Vater hatte beim Bestellen des Autos für mich vielleicht den Eindruck gewonnen, es mache irgendwie Spaß, Autos zu bestellen. Oder es könne einmal nützlich sein, eine zuteilungsreife Bestellung zu besitzen. So eine Bestellung kostete ja kein Geld und würde einmal einiges Geld wert sein.

Es war jene Zeit, da die real existierende Ökonomie des dto. Sozialismus bewirkte, dass ein gebrauchtes Auto auf dem Markt mehr kostete, als das gleiche Modell neuwertig beim VEB Ifa-Vertrieb. Dort hatte man, als Normalbürger, die Wahl, ob man in 10,12 Jahren, Wartburg, Trabbi oder Lada fahren wollte.

Nun sagte die Dame, nicht damals, sondern vor etwa einem Jahr, sie würde nach dem kleinen Franzosen gern einen kräftigen Russen haben. Einen Lada. Die haben seit Kurzem ein Modell, das sich ganz gut auf dem Markt der sehr preiswerten Fahrzeuge behaupten könnte. Ihr Grund aber ist nicht der Preis, es ist das Herkunftsland. Und jetzt stellte sich heraus, dass es dieses Auto hier nicht geben wird, weil der Besitzer, ein französischer Konzern, hier schon ein anderes, sehr preiswertes Auto vertreibt und nicht mit sich selbst konkurrieren will. Ihre Enttäuschung war beträchtlich. In Moskau sehen die Menschen das wohl eher emotionsfrei, ich habe in der letzten Woche dort fünf (5) Pkw Lada gesehen.

Die Autoanmeldung meines Vaters wurde übrigens zwei Jahre später geändert, von Wartburg 353 auf Lada 2107. Das ist jetzt 33 Jahre her.

Vielleicht gilt die Anmeldung für das Auto ja doch noch, die Dame würde ihn nehmen mit Kusshand. Irgendwie hat sie ein Faible für Veteranen. Ich unterstütze das.