Henryk Goldberg über das damals, als das Westgeld in den Osten kam.

Eigentlich war alles wie immer. Es gab dicke Leberwurstbrötchen und dünnen Kaffee, und wenn die Chefin gute Laune hatte, ließ sich sogar über Spiegeleier verhandeln. Es war ein Montag und die Brötchen und der Kaffee und die Eier waren so ziemlich wie am Freitag. Aber sonst war alles anders und auch wir begannen, anders zu werden.

Es ging an diesem Morgen in der Kantine des Berliner Henschelverlages ein wenig zu, wie beim ersten Mal, was es ja im Übrigen auch tatsächlich war. Wir lächelten alle ein bisschen unsicher, wir machten alle unsere unbeholfenen Scherze. Dabei, wir hatten nur das Geld für Brötchen und Kaffee zu bezahlen. Es war Montag, der 2. Juli 1990. Seit dem Vortag hatten wir alle Westgeld und es war das erste Mal, dass wir unser Ost-Frühstück mit Westgeld bezahlten.

Manchmal lächelt das Leben sehr fein: So wie die D-Mark 1949 die deutsche Teilung voranbrachte, so tat sie es 1989/1990 mit der deutschen Einheit. „Kommt die
D-Mark bleiben wir/kommt sie nicht/ geh‘n wir zu ihr“. Auch Lyrik wird mitunter zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift.

Und die Massen waren ziemlich ergriffen, bei nicht wenigen war auch die Hirnmasse angegriffen. Dieser Schwindelkurs. 2:1, was waren sie empört. Natürlich war das ein Schwindelkurs. Kein vernünftiger Mensch in der DDR hätte 2:1 getauscht, vor dem 1. Juli.

Merkwürdigerweise glaubten wir dann, die Alchimie des Magiers K. hätte Aluminium über Nacht zu Gold verwandelt und wir würden nun betrogen darum. Und als wir erstaunt bemerkten, dass Herr K. gar kein Zauberer ist, da waren wir wiederum empört.

Dabei, zu den hinlänglich gesicherten Erkenntnissen, die in der DDR zu erwerben waren, rechnet man auch die, es entstünde der Wert des Geldes nicht in der Druckerei.

Das Verhältnis des Ost-Menschen zum West-Geld ist die Geschichte einer irrationalen Sehnsucht und es steht dafür, dass nichts auf der Welt so wunderbar zu sein vermag, wie die Sehnsucht danach, die Vorstellung davon. Niemand ist so begehrenswert wie die unbekannte Frau hinter der Gardine. Bis man durch die Tür geht.

Damals gingen wir alle durch diese Tür in den Westen. Und wir ahnten, da müsste man vielleicht auf andere Weise clever sein als wir es waren. Ich wusste es auch.

Und ich war clever. Ich hatte 14.000 DM in der Tasche, einige Wochen vor dem 1. Juli. Die Westbanken gaben Ostmenschen Kredite, als die Währungsunion beschlossen war. Zunächst fand ich das großartig, später hielt ich es für ein Konjunkturprogramm zur Förderung betrügerischer Gebrauchtwagenhändler. Jedenfalls dachte ich mir so, wenn ich diese 14.000 Westmark nun, gegen den Trend, in Ostmark tauschte, dann wären das mindestens 70.000 Ost. Und wenn ich die auf mein Ost-Konto packen und warten würde bis Frau Holle Gold regnen lässt, dann hätte ich das Auto umsonst.

An dieser Stelle, spätestens hier, hatte ich begriffen, dass es tatsächlich ein Schwindelkurs sein würde, wie gemacht für clevere Schwindler.

Aber ich war kein cleverer Schwindler. Nicht aus Gründen der Moral oder der Ängstlichkeit. Natürlich hätte ich auf spätere Nachfrage die Herkunft der 70.000 Ostmark nicht recht erklären können, sie wären, bei meinen Einkommensverhältnissen, auf das Konto gekommen wie der Kasper aus der Kiste. Jedoch, dachte ich, wenn sogar mir das einfällt wird es so vielen Menschen mit so viel mehr Geld auch einfallen und ich wäre der kleinste Karpfen im Teich, für den sich kein Schwein interessiert, bei all den Hechten.

Aber ich war nicht clever. Das ist ja nur Papier dachte ich und das schöne Westauto ist viel schöner als Papier. Annähernd den Kaufpreis habe ich dann noch einmal in Reparaturen investiert, ehe ich es drei, vier Jahre später verkaufte, immerhin, jemand gab mir gutmütig noch 2000 DM dafür. Aber es war ein schönes Erlebnis, wenigstens für den Verkäufer.

Vor einigen Jahren fand mein Fräulein Mutter in einer Ecke fünf alte Hunderter, vorn Karl Marx, hinten das Brandenburger Tor. Ungefähr 120 verschenkte Euro. Aber das ist es wert, denn nun kann ich das doch endlich einmal in der Einheit von Herz und Verstand denken: Ist ja nur Papier.