Henryk Goldberg über die Frage, wer die Zeche zahlt, wenn die Kneipen schließen.

Am Dienstag waren wir essen, vier Menschen, ein Tisch. Die anderen Tische standen in gehörigem Abstand, wer seien Platz verließ trug die Maske, die die anderen schützt. In letzter Zeit war ich im Theater, Rudolstadt und Meiningen. Einmal saß meine Frau neben mir, einmal niemand, ich hatte mich allein angemeldet, der Platz neben mir war gesperrt. So wie auch jede zweite Reihe, in beiden Theatern saßen nur jeweils Besucher in direkter Nachbarschaft, wenn sie sich gemeinsam angemeldet hatten. In den übrigen Theatern ist es nicht anders. In all diesen Veranstaltungen wurden die persönlichen Daten abgefragt.

Und am Sonnabend feiern wir zu Hause ein bisschen einen Geburtstag nach. In einem Rahmen, der ab Montag verboten wäre. Und am Sonnabend ist er keine Gefahr? Und das ist schon ein Teil des Problems, von dem ich mich nicht ausnehme. Es ist eine nach-vollziehbare Erkenntnis, dass die wesentlichen Infektionsketten nicht in Gaststätten und Theatern beginnen, sie beginnen zu Hause, sie beginnen in den Bereichen, in denen nicht Institutionen Verantwortung tragen, sondern wir alle.

In der Gaststätte, im Theater gibt es eine disziplinierende Struktur, Tische und Stühle, die einen Abstand garantieren, es gibt die übrigen Gäste, denen gegenüber das Outing als rücksichtsloser Zeitgenosse irgendwie peinlich wäre. Im Privaten gibt es das eher selten, zudem haben wir in der eigenen Wohnung doch immer auch das Gefühl, dass dies schließlich unser höchst privater, höchst geschützter Wohn- und Entscheidungsraum sei – was ja im Übrigen nicht falsch ist.

Und dennoch müssen Gaststätten und Theater, wie auch eine ganze Reihe anderer Dienstleister, die ihren Beitrag mit viel personellen und finanziellem Aufwand geleistet haben, ab Montag schließen. Das wird, trotz der zugesagten Kompensationen, viele an den Rand der Existenz bringen und nicht wenige darüber hinaus. Diese Bereiche sind gleichsam Kollateralschäden der Situation in der wir uns befinden, Schäden also, die auch Schicksale sind, die nicht gewollt sind, jedoch billigend in Kauf genommen werden. Das ist nicht zynisch gemeint, aber es liegt tatsächlich eine Art von Zynismus in dieser Situation. Und die wird maßgeblich verantwortet von jenen Mitbürgern, Ignoranten, denen das alles egal ist, die wissen, dass das alles eine große Weltverschwörung ist.

Ich verstehe jeden, der an der einen oder anderen Maßnahme zweifelt, gar verzweifelt über sie, jeden, der den Flickenteppich unterschiedlicher Maßnahmen und Bewertungen als Verunsicherung empfindet und beklagt, das sind, sozusagen, auch Kollateralschäden, nämlich die des Föderalismus, der schon in der Bildungspolitik versagt. Aber ich verstehe die, Pardon, irritierend selbstgewissen Idioten nicht, die angesichts der Maskenpflicht auf den Plätzen „Freiheit, Freiheit“ skandieren. Sie meinen die Freiheit maximal rücksichtslos zu sein. Nicht zu reden von denen, die hier eine „DDR 2.0“ halluzinieren oder sich gar „dagegen war die NS-Zeit ja Gold“ trauen.

Die kann ich nur insofern ernst nehmen, als sie die Atmosphäre in diesem Land mit ihrer brutalen Dummheit infiziert haben – und mit dem Virus auch. Wie all jene, die sich stolz oder auch nur leichtsinnig trafen, mit viel Spaß, viel Alkohol, ohne Maske, ohne Abstand. Wir alle zahlen jetzt den Preis dafür, für einige wird er noch etwas höher ausfallen als nur vier Wochen ohne Spaß, für die geht es ans Eingemachte.

Und dennoch fällt es mir schwer, jetzt mit viel Leidenschaft zu dekretieren, welche Maßnahmen nun völlig überflüssig, vollkommener Schwachsinn sind. So wie es ist, geht es wohl nur mit einem brachialen, alles und alle erfassenden Kraftakt gegen die Welle. Und schuld sind am Ende nicht „die da oben“, schuld sind wir, wir Gesellschaft.

Und der Fehler von unserem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow ist nicht, bei aller Demokratie-Lyrik am Ende doch das Akzeptieren der einschneidenden Beschlüsse. Der Fehler war zu glauben, wir, wir Thüringer, könnten, wenn es ernst wird, die Dinge in unserem Freistaat grundhaft anders behandeln. Natürlich, vor einer Wahl ist die Situation der Länder schon verschieden. Aber vor dem Coronavirus sind alle gleich.