Henryk Goldberg über die Russen, die Deutschen und die Krim.

Na, was machen Sie gerade? Frühstücken? Schön. Und ich? Na schön, wenn Sie es unbedingt wissen wollen: Ich sitze zur Frühstückszeit im Flieger nach Moskau. Früher, Sie wissen schon: früher, sind Krethi & Plethi nach Moskau gefahren, aber heute klingt das irgendwie spannender als Malle. Weil wir die Mühen der Visabeschaffung scheuten, haben wir die Kosten aufgebracht. Den ganzen Quark, den sie da wollen – Einladung, Garantie der Rückreise – kann man nämlich auch bei einer Agentur kaufen, woraus erhellt, dass es wirklich Quark ist. Aber auch verständlich: Die Russen verlangen von den Deutschen für die Einreise das Nämliche wie wir von ihnen. Auch wenn das im Detail albern erscheint, verstehen kann man es. Dieses Russland will mit der Welt auf Augenhöhe verkehren.

Und das ist das Problem, oder doch wenigstens ein Teil davon. Denn als Gorbatschow, ungewollt, den real existierenden Sozialismus beerdigte, da war der real existierende Kapitalismus von der Kette. Und bedachte nicht, was die Russen trotz KGB und Lubjanka, trotz Gulag und Kommunalwohnungen mehrheitlich eint: die Liebe zur Heimat, der Stolz auf ihr Land. Und deshalb wählten sie, und würden es auch unter demokratischen Bedingungen tun, einen Mann, der ihnen den Stolz zurückgab, der wiegt schwerer als die Freiheit, die es nie gab. Und am stolzesten waren sie, als er ihnen die Krim dazulegte. Und als der Friedensnobelpreisträger Barack Obama Russland darauf verbal als „Regionalmacht“ demütigte, da wussten die Russen, sie hatten alles richtig gemacht.

Das muss man nicht so sehen, aber sehen muss man: Sie sehen es so. Und da sich diese „Regionalmacht“ nicht ökonomisch, wohl aber militärisch in der Tat auf Augenhöhe mit den Stärksten der restlichen Welt bewegt, muss man es hinnehmen: Russland wird sich nie mehr von der Krim zurückziehen. Schließlich, so könnten die Russen mit feinem Humor erläutern, schließlich war es eine geborene Deutsche, die zweite Katharina, die die ewige Zugehörigkeit der Halbinsel zu Russland dekretierte, wie es übrigens auch ein in der Gegend hier recht bekannter Deutscher war, der der Krim ein Sprachkunstwunderwerk widmete. Als Iphigenies Bruder Orest dem Thoas, König von Tauris, also der Krim, mit dem bloßen Schwert gegenübertritt, da mahnt sie zu Vorsicht und Respekt. Und das gilt wohl noch immer.

Da können wir hier das Völkerrecht berufen, mit allem Recht der Welt, es wird nicht helfen. Und auch wenn, gerade hier im Osten, verteidigend ins Feld geführt wird, dass die Krim doch russisches Kernland sei und ihre Übergabe an die Ukraine unter sowjetischen Auspizien eine symbolische Formalität, trifft das nicht den Kern: eine Annexion bleibt eine Annexion. Sie ist nicht zu verteidigen, ihr wird keine völkerrechtliche, keine moralische Billigung zugesprochen werden können, auch nicht unter Beobachtung der deutsch-sowjetisch-russischen Geschichte. Es gibt nur einen, allerdings entscheidenden Grund, mit dem sich seufzend akzeptieren lässt, dass es so ist, wie es ist: Weil es so bleibt. Weil sie die Macht haben.

Und Machtpolitik ist rational, nicht gefühlig. Man muss nun nicht gleich Freundschaftsfeste feiern auf der Krim. Aber man müsste wohl aufhören, in Zusammenhang mit den Sanktionen von der Krim zu sprechen. Denn es ist sinnlos und alle wissen es. Putin wird nur gesichtswahrend verhandeln, und das kann er nicht, wenn es um die Krim geht. Aber er kann es, wenn es um den Krieg in der Ostukraine geht, hier gibt es Spielraum, hier könnte und würde er dem Westen wohl entgegenkommen.

Hier im Osten, die Ministerpräsidenten haben im Wahljahr schon darauf reagiert, wird dem Russischen mit mehr Sympathie begegnet, nicht selten auch emotional und unreflektiert. In Sömmerda zum Beispiel haben sie den Amis und der Nato zum Thüringentag in Gestalt einer Big Band die kalte Schulter gezeigt. No pasarán! Nicht bei uns. Es gib keinen Grund, sich die Verletzungen des Völkerrechts wie der Menschenrechte in Putins Russland schönzureden, das Denken und Handeln von oben nach unten ist russische Mentalität, nicht nur oben. Aber es gibt jede Menge Gründe, realpolitische wie historische, dieses Land nicht zum Paria zu machen. Oder, um einen Gedanken des Genossen Stalin aufzugreifen: Die Putins kommen und gehen, das russische Volk aber bleibt. Ach Behemoth, mach, dass alles gut wird.