Henryk Goldberg über die berichtspflichtigen Tode in der Zeitung.

Na ja, in diesen Zeiten kann man schon mal den Blues bekommen, trübe, wie sie nun mal sind. Aber wir wollen hier nicht nur Trübsal blasen, deshalb heute mal etwas Lustiges. Nämlich. Die Queen ist gestorben, kaum dass wir „The Crown“ gesehen haben, Pelé, kaum dass Maradona starb, Jimmy Carter, kaum dass Joe Biden die Wahl gewonnen hat, Clint East-wood, kaum dass „Dirty Donald“ sich als viel mehr „dirty“ erweist, als Harry es je war.

Okay, das wäre nicht lustig, wenn es wahr wäre.

Es war aber nicht wahr, es war ein technisches Problem. Nicht, zum Glück, der Krankenhäuser, sondern eines französischen Radiosenders. Der hatte die Nachrufe vorproduziert, und dann hat irgendjemand irgendeinen Fehler gemacht, und sie standen alle, alle im Netz.

Uns hier kann das nicht passieren. Und zwar deshalb, weil nach meinem Wissen derlei Nekrologe nicht vorauseilend geschrieben werden, hier liegen, wenn man so sagen darf, keine Toten auf Halde. Ich war hier über Jahrzehnte Verfasser von Nachrufen, Schauspieler, Regisseure, Schriftsteller. Und obgleich viele von ihnen, ohne Rücksicht auf Schlusszeiten, nicht selten an den späten Nachmittagen zu sterben pflegten, wenn der Redaktionsschluss bedrohlich nahe ist, habe ich nie den Nachruf vorgeschrieben.

Irgendwie geht es nicht, vielleicht, dass da doch noch ein seelisches Widerstandsnest gegen die Professionalität arbeitet.

Allerdings erhielten wir gelegentlich Manuskripte unter der Betreffzeile „Aus meiner Nachrufmappe“, freie Journalisten haben es nicht leicht. Mir hingegen fiel es nicht leicht, einen lebendigen Menschen prophylaktisch zu beerdigen.

Nur zweimal machte ich eine Ausnahme. Die eine war Nelson Mandela, als er, vor den Augen der Welt, im Sterben lag. Als es eine Weile später tatsächlich geschah, da erfuhren wir es auf einem Parkplatz in Südafrika, die Fahnen waren auf Halbmast gesetzt, die Menschen hatten sich um Radios versammelt. Da erlebten wir, was Mandela für dieses Land bedeutet, statt es nur zu wissen.

Die andere war der große George Tabori. Er war, jenseits der 90, krank, und ich wollte, man mag das eine Kreuzung aus Eitelkeit und Respekt nennen, ich wollte vermeiden, dass meine Zeitung im Falle eines Falles einen Text druckte, den andere vorproduziert hatten.

Sie sterben fast immer zur falschen Zeit. Und was tut der Redakteur in seiner Betroffenheit? Er ruft laut und deutlich „Scheiße“, denn jetzt muss er auf die Schnelle einen Nachruf schreiben. Es gibt allerdings auch Ausnahmen. Ernst Jünger, ein Mann des vollendeten Stils, bewies auch hier Grandezza, 102 Jahre alt: Die Nachricht kam am Vormittag, alle Zeit der Welt. Die Seite umbauen, einen schönen, sehr sensiblen Beitrag schreiben, wunderbar.

Und sonst? Glauben Sie keinem Journalisten, der Ihnen erzählt, wie betroffen er immer ist. Er macht seinen Job, und wenn er ihn gut machen will, dann weint er nicht, dann denkt er nach.

Es gibt Ausnahmen, die beiden Türme in New York und, stärker noch, das Gymnasium in Erfurt waren die wichtigsten. Manchmal ist es wirklich schwer, den Job und die Gefühle in eine Balance zu bekommen.

Mit der Puppenspielerin Anne Frank habe ich einmal gelegentlich eines Gastspiels einen schönen Abend in Mexiko-City verbracht, und als junges Mädchen war sie in dem Jugendklub des Theaters Erfurt, den ich leitete. Da schreibt es sich anders. Und sehr anders schreibt es sich bei einem wie Harald Gerlach, der ein Teil meiner Jugend war.

Einmal haben wir im Café „International“ zusammen, wechselnd Zeilen absondernd, ein Gedicht über die Trasse geschrieben, das dann unter der Autorenschaft eines gewissen Klaus-Peter Löffel im Erfurter Schauspielhaus zum Vortrag gelangte. Da wird ein Nachruf zu einer sehr persönlichen Angelegenheit, weil es auch ein Abschied von einem Stück des eigenen Lebens ist.

Apropos, einen würde ich noch gern vorschreiben, voller Mitgefühl & Betroffenheit, kenntnisreich & emotional, gut recherchiert & glänzend geschrieben, kein Redakteur müsste „Mist!“ murmeln.

Aber sie lassen mich nicht. Ich bin gespannt, was sie für einen Mist schreiben werden über mich.