Henryk Goldberg über die Frage, was uns das eigentlich angeht.

Sie wissen mehr als ich. Das ist an sich ein normaler Vorgang, denn der Abonnent dieser Zeitung als solcher ist ein gebildeter Mensch, was schon aus der erwähnten Lesegewohnheit erhellt. In diesem Fall allerdings ist das auch dem Umstand geschuldet, dass ich hier am Donnerstagmittag schreibe und also, anders als hoffentlich Sie am Sonnabend, noch nicht weiß, wie der nächste Präsident der USA heißen wird. Aber ich bin guten Mutes, jetzt sieht es so aus, als könnte es doch reichen für Joe Biden. Das gefällt mir.

Aber wieso?

Die Innenpolitik der USA hat auf mein persönliches Leben so viel Einfluss wie die Entwicklung der grönländischen Lyrik oder die Perspektive des generischen Maskulinums. Sie können eine Schwangerschaft abbrechen oder nicht, sie können ihre Arztrechnung bezahlen oder nicht, es wird mein Leben nicht verändern. Auch die Außenpolitik der USA wird mich unmittelbar kaum berühren, sie bleiben in der Nato oder nicht, sie kehren ins Klimaabkommen zurück oder nicht: Ich bleibe gesund oder nicht, meine Frau verlässt mich oder nicht - alle diese für mich existenziellen Fragen haben nicht das Mindeste zu tun mit dem, was in den USA geschieht.

Warum also berührt mich das? Warum hoffe ich auf Biden, in der Überzeugung übrigens, dass er noch um vieles weniger die Lichtgestalt ist, die schon Brack Obama nicht war?

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    Eine Frage der Haltung zur Welt

    Ralph Freund, ein Anhänger von Trump, sagte dieser Tage im deutschen Fernsehen: „Trumpist zu sein ist eine Charaktereigenschaft.“ Und Thomas W., deutscher Facebook-Teilnehmer, schrieb über Trump: „Der Mann fürs Grobe, tritt den rot-grün Versifften in den Hintern“.

    Genau das ist es, eine Charaktereigenschaft. Oder, besser gesagt, eine Frage der Haltung zur Welt, eine Frage der Welt-Anschauung, die etwas anderes ist als die einst hier dekretierte Weltanschauung. Man könnte, vielleicht etwas pathetisch, sagen, es ist eine Frage der Moral. Der eigenen Moral, die wir auf die Vorgänge in dieser Welt projizieren.

    Das betrifft nicht nur die USA. Auch näher liegende Länder, die einst gleichsam noch näher lagen, weil sie zu den wenigen gehörten, in die der DDR-Mensch reisen konnte, haben jetzt an Sympathie verloren. Wie toll war es einst, in Krakau ins Theater zu gehen, wo sie Stücke spielten, die hier weder gespielt noch gedruckt wurden. Wie weltläufig kam man sich einst vor beim Espresso in Budapest. Test the West, wenigstens fühlte es sich so an. Und heute werden in Ungarn die Theater und die Medien kontrolliert, in Polen die Justiz und die Frauen. Und das jeweils von Regierungen, die sich nicht an die Macht geputscht haben, die korrekt und demokratisch gewählt wurden. Das vergällt mir ein wenig die Freude an Freiheit und Demokratie, die allerdings alternativlos bleibt. Aber die Menschen, sie sind so irritierend mitunter, so fremd.

    Was uns wieder in die USA führt. Ich habe jetzt mehrfach ein Plakat gesehen. Es zeigt Donald Trump als Rambo. Muscle-Shirt, Maschinengewehr. Abgesehen von dem feinen Humor, den erblicken mag, wer weiß, dass Trump sich nach Kräften mühte, den Militärdienst zu vermeiden, abgesehen davon also, wäre ein solches Plakat mit einem deutschen Politiker eine Satire seiner Gegner. In den USA ist es eine Solidaritätsadresse seiner Anhänger. Ich habe den kulturellen Unterschied beider Länder selten so empfunden wie in Betrachtung dieses Plakates - und in Betrachtung dieser Wahl. Und ich empfinde es einfach als ungerecht, als, Pardon, unmoralisch wenn dieser Mensch, mit allem was man weiß, sich als Sieger fühlen darf, wenn ein Mann dieser verkommenen Art einen der wichtigsten und einflussreichsten Jobs dieser Welt bekommt.

    Während ich das schreibe laufen noch die Auszählungen in den entscheidenden Battlegrounds. Manchmal denke ich, wir sind hier im Ganzen ein Battleground, ein Schlachtfeld. Auf dem wird entschieden, ob die Pöbler wie Stephan Brandner, die Demagogen wie Björn Höcke nebst ihrer nicht nur im Netz grölenden Gefolgschaft den Ton bestimmen werden. Oder ob die Menschen, die ihnen aus Frust folgen, irgendwann die gesellschaftliche Hygiene für wichtiger erachten als die politische Pöbelei.

    Die Hoffnung höret nimmer auf, hier wie dort.

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