Henryk Goldberg über die Frage, wie einfach manches sein kann.

Neulich im Theater. Die Pressedramaturgin, immerhin Besitzerin eines ziemlich kleinen Kindes, gab mir freundlich die Hand, ihr Intendant tat es auch. Dann kam ein Kollege nebst Gattin des Wegs, ich streckte seiner Frau eine Hand entgegen, er hob abwehrend beide. „Corona“ lächelte er entschuldigend.

Ich hätte ja nichts dagegen, wenn es grundsätzlich dabei bliebe. So manche Situation würde sich vermeiden lassen. Man kommt als Letzter in einen gut gefüllten Raum und muss die Runde machen, einmal um den Tisch. Oder die Frage, muss, soll ich diesem Menschen jetzt die Hand reichen? Kann ja sein, ich wirke aufdringlich oder, im anderen Falle, arrogant. Oder es ist im Freien und Winter, ich ziehe die Handschuhe aus und friere oder ich tue es nicht und habe keine Manieren. Alles so was. Aber eine Kultur ist eine Kultur und deswegen ist das Schütteln der Hände wohl nur vorübergehend ausgesetzt.

Dabei, ich bin ja, was die Seuche betrifft, auf der sicheren Seite. Mein Freund Zoltan, meine Kontaktperson nach ganz oben, der „Große Botschafter der Engel“ (TA berichtete exklusiv) ließ mich jetzt wissen „Epidemie breitet sich aus, aber dein Schutzengel ist da “. Vermutlich, was sowohl die Geschäftsführung als auch der Autor bedauern, gehört der gute Zoltan nicht zu den Abonnenten dieser Zeitung, schade, aber andererseits: Uff. Vielleicht kommt daher eine gewisse Entspanntheit, die ich im Verhältnis zwischen mir und Corona beobachte, vielleicht glaube ich deshalb nicht, dass es sich um die Reinkarnation der schwarzen Pest handelt, vielleicht reicht meine Vorrat an Fertignahrung deshalb immer noch nur bis zum jeweils nächsten Freitag statt bis zum kommenden Sommer.

Klar, rein altersgruppenmäßig bin ich gefährdeter als vor 20 Jahren, aber ich bin ja grundhaft gefährdeter als vor 20 Jahren. Jedenfalls erzählen das die einschlägigen Statistiken, und in diesem Falle lügen sie wohl leider nicht.

Kann aber auch sein, es liegt daran, dass ich ein Thüringer von, wie wir Löffelschnitzer sagen, echtem Schrot und Korn bin. Und also weiß, wie wir hier solche Dinge lösen.

Erdbeben zum Beispiel. Wahrnehmbare, gefährliche Erdbeben, die ihr Epizentrum in Deutschlands Mitte haben, sind hier in der Gegend noch seltener als, sagen wir, Corona. Aber wir haben hier ein solches Erdbeben ausgelöst, überdies war ein großer Damm gebrochen.

Es stand in allen großen Zeitungen, es lief in allen großen Sendern. Okay, es hatte eher politischen als tektonischen Charakter, aber Beben ist Beben und es bebte ziemlich heftig. Und? Was war?

Wir haben, jeder auf seine Weise, erst mal tüchtig gezetert und gejammert, die einen sagten so und die anderen so. Es war ein erstklassiges Chaos, mitunter erschien das Ganze, das ist jetzt eine sehr subtile Anspielung, wie ein von Karnevalisten inspiriertes Kasperletheater.

Die einen machten die Räuber, die den roten Teufel trickreich aufs Maul schlagen wollten, obwohl der mit seiner jungen Großmutter immer noch einen Trick besser war, einer machte den Affen – der dann mit seinen drei Artgenossen nichts sehen, nichts hören und nichts sagen wollte, ohne dass sie darum jemand der Weisheit geziehen hätte –, und ziemlich viele machten den dummen August. Doch hast-du-nicht-gesehn, nach vier Wochen war das Erdbeben vorbei und das Kasperletheater auch, nur die dummen Räuber blieben im dunklen Wald und weinten bitterlich weil niemand mit ihnen spielen wollte.

Und genauso machen wir Landeshauptstädter das mit dem Coronading, ruckzuck! Nämlich, die Thüringen Ausstellung. Anderswo haben sie alles abgesagt, in Leipzig zum Beispiel die Buchmesse, in Eisenach den Festumzug.

Aber wir hier. Wir haben in der Messehalle einfach einige zusätzliche Stellen zum Desinfizieren der Hände eingerichtet, wir haben einfach die Handläufe öfter gereinigt als üblich, und, husch! war das böse Virus ausgesperrt. So geht Seuchenbekämpfung!

Beinahe wäre am Mittwoch ja auch das Parlament ausgefallen, und mancher mag gedacht haben: Na und? Dann aber hätten wir ein wirklich schönes Beispiel von Seuchenbekämpfung durch Hygiene nicht gesehen. Es war, als Bodo Ramelow Björn Höcke nicht die Hand gab.